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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornell Woolrich
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Es mußte
doch schon alt genug sein; seine Mutter redete ständig auf es ein. »Bobby, komm
da weg !«
    »Mami, guck mal !« rief es amüsiert.
    Stapp konnte den Jungen nur noch
undeutlich sehen, so schnell bewegte er den Kopf. Ihm war schwindlig, so als
steige er gerade aus einem Karussell; das Fenster und das Kind, das darin
eingerahmt schien, schwangen im Halbkreis vor seinen Augen hin und her, erst
ganz weit zu einer Seite, dann ganz weit hinüber auf die andere.
    Aber würde es ihn verstehen, würde es
verstehen, daß seine hektischen Kopfbewegungen bedeuteten, daß er befreit
werden wollte? Selbst wenn ihm die Stricke um seine Hände und Füße nichts
sagten, wenn es nicht wußte, was der Verband um seinen Mund bedeutete, es mußte
doch wissen, daß einer, der sich so windet, freikommen will. O Gott, wenn es
doch nur zwei, allenfalls drei Jahre älter wäre! Ein sechsjähriges Kind würde
das in der heutigen Zeit schon verstehen und Hilfe holen.
    »Bobby, kommst du jetzt endlich? Ich
warte !«
    Wenn er die Aufmerksamkeit des Kindes
doch nur noch etwas länger auf sich ziehen könnte, so daß es der Mutter nicht
gehorchte, dann würde sie sicher herüberkommen, um es zu holen, und dann, wenn
sie verärgert nach dem Grund für seine Faszination suchte, würde sie ihn selbst
sehen.
    Mit verzweifelter Komik rollte er die
Augen, blinzelte, ja schielte ihm zu. Dann endlich trat ein bengelhaffes
Grinsen in sein Gesicht; so jung es war, fand es einen körperlichen Defekt oder
etwas, das so aussah, bereits belustigend.
    Plötzlich schoß die Hand eines
Erwachsenen aus der oberen rechten Ecke des Fensters herab, packte das
Handgelenk des Jungen und zog seinen Arm hoch, aus Stapps Blickfeld. »Mami,
guck mal !« wiederholte es und zeigte mit der freien
Hand auf das Fenster. »Komischer Mann, angebunden .«
    Die Erwachsenenstimme antwortete
vernünftig, logisch, objektiv, unempfänglich für die Phantasievorstellungen
eines Kindes: »Das geht doch nicht, Mami kann nicht einfach so in anderer Leute
Häuser hineinschauen wie du .«
    Das Kind wurde am Arm hochgezogen, sein
Kopf verschwand über dem Fenster. Sein Körper wurde herumgedreht, von ihm
weggezerrt; einen Augenblick sah er noch seine Kniekehlen, dann verschwamm sein
Umriß hinter der Glasscheibe, und es war weg. Nur das kleine Guckloch, das es
freigewischt hatte, blieb und machte sich über sein Martyrium lustig.
    Der Lebenswille ist etwas
Unbezwingbares. Er war jetzt mehr tot als lebendig, und doch begann er soeben
wieder, aus den Tiefen seiner Verzweiflung hervorzukriechen; das dauerte mit
jedem Mal länger, weil er langsamer wurde, wie ein Insekt, das immer wieder mit
Sand zugeschüttet wird und sich unermüdlich jedes Mal wieder herausbuddelt.
    Schließlich drehte er den Kopf vom
Fenster weg, zurück zum Wecker. In der ganzen Zeit, in der das Kind dagewesen
war, hatte er keinen Blick darauf werfen können. Jetzt sah er zu seinem
Entsetzen, daß er auf drei vor drei stand. Wieder, und diesmal endgültig, wurde
das Insekt, seine Hoffnung, zugeschüttet, wie durch einen geruhsamen
Spaziergänger, der sich am Strand die Zeit vertreibt.
    Er empfand nichts mehr, keinen
Schrecken, keine Hoffnung, nichts. Eine Art Benommenheit hatte sich in ihm
ausgebreitet, in der nur noch ein Rest von Bewußtheit
glühte, sein Verstand. Das war alles, was die Detonation noch in ihm auslöschen
würde, wenn es soweit war. Wie wenn einem in örtlicher Betäubung ein Zahn
gezogen wird. Alles, was von ihm noch lebte, war diese pulsierende Vorahnung;
der Rest war bereits abgestorben. So lange im voraus um den eigenen Tod zu
wissen, reichte als Betäubungsmittel völlig aus.
    Jetzt war es auch schon zu spät, um
zuerst ihn zu befreien und dann das Ding anzuhalten. Die Zeit würde allenfalls
noch reichen, wenn jetzt sofort jemand mit einem scharfen Messer in der Hand
die Kellertreppe herunterkam, ihm ohne zu zögern die Fesseln an den Händen
durchschnitt, und er sich dort hinüberwarf und den Wecker zurückdrehte. Und jetzt
— jetzt war es selbst dazu zu spät, war es für alles zu spät außer zum Sterben.
    Gutturale Töne entrangen sich seinem
Rachen, als sich der Minutenzeiger langsam über den Zwölfer-Strich schob. Ein
Knurren, wie das eines Hundes, der an einem Knochen nagt, das aber wegen des
Knebels nicht in voller Lautstärke herausdrang. Verzagt kniff er die Augen
zusammen, so daß sie wie Schlitze wirkten — als ob er dadurch, daß er die Augen
schloß, die furchtbare Gewalt

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