Das ferne Leuchten - das Marsprojekt ; 1
nicht.«
Ariana knurrte unzufrieden. »Damals war ich drei! Das sind sechs Erdjahre.« Das Marsjahr zählte 669 Marstage und war damit ungefähr doppelt so lang wie ein Erdjahr. Wenn man betonen wollte, dass man für irgendetwas noch zu jung war, empfahl es sich, sein Alter in Marsjahren zu zählen. Und umgekehrt.
»Du hast schon immer genau gewusst, was du willst. Und auch, was du nicht willst. Wir hatten damals schon lange aufgehört, dir zu widersprechen.«
»Trotzdem. So eine Entscheidung überlässt man doch nicht einem dreijährigen Kind.«
»Wem denn sonst? Ich bin mir sicher, wenn deine Mutter dich gezwungen hätte mitzukommen, würdest du jetzt gerade an ihrem Tisch sitzen und dich bei ihr bitter beklagen.«
Damit hatte er vermutlich sogar recht. Ariana schlürfte an ihrem Kaffba. »Aber wenigstens würde ich dann in eine richtige Schule gehen, mit lauter Gleichaltrigen«, maulte sie. »Ich würde Jungs kennen lernen. Ich würde zum Tanzen gehen. Ich würde ein Leben haben, in dem was los ist.«
Ihr Vater hob die Augenbrauen, was ihn immer äußerst väterlich erscheinen ließ. »Ist hier etwa nichts los?«
»Oh doch, klar«, meinte Ariana sarkastisch. »Ich hocke den halben Tag vor einem vorsintflutlichen Computerbildschirm und absolviere Fernunterrichtslektionen, ohne mit einem einzigen Menschen reden zu müssen. Und den anderen halben Tag darf ich schuften, unten im Keller Champignons und Pfifferlinge pflücken, Bambusabfälle für die Papiermaschine zerkleinern, deine Praxis putzen oder sonst irgendwas.«
»Das ist heute Nachmittag übrigens wieder fällig«, nickte Vater.
»Ich sage ja, langweilig wird’s mir wirklich nicht.«
»Und was ist mit dem Fest sonntagabends auf der Plaza? Sag bloß, das gefällt dir auch nicht.«
Ariana furchte die Stirn. »Doch, das ist ganz okay. Aber eben nur sonntags.«
»Da ist jede Woche ein Fest. Mehr wäre doch sowieso nicht zu ertragen. Weißt du, in Wirklichkeit lebt auf der Erde kein Mensch so wie diese Teenies in den Fernsehserien. Dafür hast du ja offenbar immer noch genug Zeit.«
»Ich hab jetzt schon ewig nicht mehr…«
Vater richtete den Löffel auf sie, als halte er ein diagnostisches Instrument in Händen. »Außerdem ist in zwei Wochen das große Silvesterfest. Glaub mir, tausende von Erdlingen würden ihren rechten Arm dafür geben, dabei sein zu dürfen.« Er blinzelte. »Ach, wo ich es gerade erwähne, Irene Dumelle hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du morgen Nachmittag mit ihr rausfährst zum Zelt. Sie braucht jemanden, der einen Rover fahren und mit einem Greifarm umgehen kann.«
Wenn man auf dem Mars geboren war, lernte man, einen Rover zu steuern ungefähr in dem Alter, in dem Kinder auf der Erde das Fahrradfahren lernen. Da war ja auch nichts Großartiges dabei, fand zumindest Ariana. So ein Rover war ja nur drei Meter hoch, zwölf Meter lang und wog vier Tonnen. Und ringsum hatte man immer viel Platz. »Kann das nicht Ronny machen? Der ist sowieso der beste Fahrer von uns allen.«
»Ich glaube nicht, dass es darauf ankommt. Den will sie sowieso dabeihaben. Ich schätze, es geht darum, dass die Staubstürme letzte Woche ihre Spuren auf dem Zelt hinterlassen haben.«
Für das Silvesterfest war am Point Armstrong ein großes transparentes Druckzelt errichtet worden, eines von der Sorte, wie sie als Treibhäuser für Gemüse, Obstbäume und dergleichen dienten. Bis zum Point Armstrong fuhr man ungefähr eine Stunde, und man hatte von dort einen wunderbar weiten Blick auf die Ebene, die obere Station und die ersten Ausläufer der Valles Marineris. Sie hatten das Zelt mit Luft gefüllt und mit Isoliermatten ausgelegt und würden an Silvester die mitgebrachten Proviantkisten leer futtern und die Aussicht genießen, Abasi würde seine Gitarre mitnehmen und Blueslieder singen, und es würde ein unvergessliches Erlebnis werden.
Es waren noch zwei Wochen bis Silvester nach dem Marskalender – auf der Erde schrieb man erst Mitte Oktober. Im Marsjahr galt als Neujahr die Frühjahrstagundnachtgleiche, wie das bei Planetenforschern schon immer Brauch gewesen war, selbst als diese nur Fernrohre und noch keine Raumschiffe zur Verfügung gehabt hatten. Nach dem Marskalender schrieb man das Jahr 36 – das Marsjahr, in dem die erste bemannte Landung stattgefunden hatte, wurde als Jahr 1 betrachtet. Offiziell allerdings galt dieser Kalender nicht, die Erdregierung hätte ihn am liebsten verboten. Aber die Siedler benutzten ihn trotzdem. Ariana
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