Das Fest Der Fliegen
Hohe schwarze Pumps. Ihre selbstbewusste Haltung gefiel ihm immer noch, auch wie sie jetzt versuchte, ihr Wiedersehenslächeln nicht zu herzlich aussehen zu lassen und mit einem kollegialen Schmunzeln zu tarnen. Sie hatten sich damals gut verstanden, wenn auch ohne intensive Zuneigung, die den Verdacht einer erotischen Spannung gerechtfertigt hätte. Für den neuen Gesamteindruck hatte er kaum eine Sekunde gebraucht, das übliche genetische Männerblickprogramm. Ihm wurde bewusst, was er tat, und er musste über sich lachen. Sie missverstand seine Heiterkeit, legte den Kopf schief und lächelte zurück, was ihn veranlasste, sich zu verneigen. Sie wusste noch, dass er fähig war, einen jungenhaften Diener zu machen. Der gefiel ihr, obwohl sie männliche Verbeugungen generell für verlogen hielt. Klantzammer hatte er seit einem halben Jahr nicht gesehen und er erschrak darüber, wie müde sein einstiger Chef aussah, der immerhin zwei Jahre jünger war. Dann nahm er den Kollegen aus Paris ins Visier. Commissaire Lecouteux, diesmal in einem braunen Seidenanzug, Gebrannte Siena dunkel, olivgrünem Hemd und schlammfarbener Krawatte, lächelte nicht. Er nickte nur. Man sah ihm an, wie schwer die Last der Erwartung war, die diverse Vorgesetzte ihm aufgepackt hatten, vermutlich bis in Regierungskreise. Sie gaben sich die Hand. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Alexander, auch wenn der Grund zur Freude keinen Anlass gibt.« Swoboda nickte stumm, Klantzammer deutete auf den Konferenztisch, an dem offenbar, wie seinerzeit, die tägliche Lage stattfand, und lud ein, Platz zu nehmen. Swoboda beobachtete, wie Lecouteux einen Stuhl zurückzog, um Frau Bossi an den Tisch treten zu lassen, und ihr, während sie sich setzte, das Möbel elegant unterschob. Verblüfft wandte sie den Kopf zu ihm um und dankte. »Ich muss dieses Treffen eröffnen, ohne eigentlich eingeweiht zu sein«, sagte Klantzammer mit einer dünnen, schwankenden Stimme, die Swoboda nicht von ihm kannte.
»Im Grunde hat diese Serie von sieben Morden gar nichts mit unserem Zuständigkeitsbereich zu tun. Lediglich mit meinem Kollegen Alexander Swoboda, der zufällig in die Angelegenheit verwickelt worden ist. Eigentlich ist er ja schon lange nicht mehr im Dienst. Ich begrüße also die Kollegin Michaela Bossi, Chefermittlerin vom Bundeskriminalamt, Monsieur Georges Lecouteux von der Pariser Kriminalpolizei, Abteilung Organisiertes Verbrechen. Unseren Kriminalhauptkommissar Rüdiger Törring haben Sie bereits kennengelernt. Mir scheint, dass die Fälle, die in der Akte Rosenkranzmorde dokumentiert sind, am besten von unserem Kollegen aus Paris dargestellt werden können, und darum bitte ich Sie, Monsieur Commissaire, um einen Lagebericht.« »Ich danke Ihnen.« Lecouteux hatte ein einziges Blatt Papier vor sich liegen. »Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, hier sprechen zu dürfen. Denn Sie haben mehr damit zu tun, als Sie im Moment wissen können. Herr Klantzammer sprach von sieben Morden. Ich spreche von neun, einem Selbstmord und acht Morden, denn ich zähle den Museumsangestellten von Edinburgh, Gavin Fettercairn, zu den Opfern dazu. Auch wenn er, so wie Madame O’Hearn in Valmont, nicht auf die gleiche Weise wie die anderen umgebracht worden ist. Bei ihnen haben wir es mit Vergiftung durch Conotoxin zu tun, beigebracht mittels Injektion, eine handelsübliche Einmalspritze. Es ist natürliches Conotoxin, das heißt, es hat jemand aus Seeschnecken hergestellt. Wir müssen uns entschlossene, geschickte Täter vorstellen, die weiter töten werden. Ohne dass wir genau wissen, warum. Und wann. Und wo. Ich werde zitieren aus der Expertise von Europol, die ein Untersuchungsteam gebildet hat, von dem Madame Bossi und ich in regelmäßigen Konsultationen informiert werden. Der Vorgang ist im Interesse von allen Innenministerien in Europa, und ich muss Sie um absolute Vertraulichkeit bitten. Durch den letzten Mord in Frankfurt wird auch die amerikanische Bundespolizei in die Ermittlungen einbezogen. Lassen Sie mich also beginnen mit dem, was wir wissen.« Frau Bossi lehnte sich vor. »Wäre es nicht wichtiger, mit dem zu beginnen, was wir nicht wissen?« Lecouteux sah sie an und hob die Augenbrauen. Swoboda blickte auf den Tisch und unterdrückte sein Lachen. Typisch für Michaela Bossi: Mit der Frage versuchte sie, den Franzosen ins Schwimmen zu bringen. Der setzte ein routiniert charmantes Lächeln auf: »Philosophisch gesehen, Madame Bossi, wird unser Nichtwissen
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