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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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immer größer bleiben als unser Wissen. Hier geht es aber um die Frage, was wir voraussetzen können und was nicht. Und die Voraussetzung, das wissen Sie natürlich, ist die Stärke oder die Schwäche jeder logischen Konstruktion.« Sie lehnte sich zurück. »Das wäre mir nicht eingefallen und ich bin begierig auf jede Ihrer Mitteilungen.« Es war ihre Art zu flirten und Swoboda spürte verwundert, dass er, ohne Grund oder gar Anspruch, eifersüchtig wurde. Lecouteux dachte kurz nach, schob seinen Notizzettel von sich weg zur Mitte des Tisches und sagte in einem so verlogen demütigen Ton, dass Swoboda erneut grinsen musste: »Da Madame Bossi und ich denselben Zugang zu den Konsultationen von Europol haben, wäre es, aufgrund der besseren Sprachfertigkeit, wohl am besten, wenn sie die Unterrichtung vornähme. Dürfte ich Sie darum bitten?« Die Art, wie er sich mit dem Konjunktiv spreizte, zeigte, dass er dem Spiel der Sprachen gewachsen war und den kämpferischen Flirt angenommen hatte. Michaela Bossi sah keine Chance, zurückzuziehen, und übernahm den Vortrag, den er ihr zugeschoben hatte. Tiefe Zufriedenheit machte sich auf Lecouteux’ Gesicht breit, er fläzte sich in seinen Stuhl und sah mit triumphalem Glanz in den Augen zu Swoboda hinüber. Frau Bossi war auf ihre Rolle vorbereitet. Sie war immer vorbereitet, dachte Swoboda, vielleicht war es zugleich ihre Stärke und ihre Schwäche, dass sie jederzeit bereit war, die Gesprächsführung zu übernehmen. Wenn er sie gemalt hätte, dann auf einem Podest. Doch nicht ohne Bewunderung, wenn nicht Faszination. »Wir wissen tatsächlich einerseits sehr viel, andererseits nichts. Gar nichts.« Sie sprach frei, der Tisch vor ihr war leer. »Fall eins war der Mord an einem Maler, dänischer Staatsbürger, wohnhaft in Aarhus, Mikkel Jørgensen, sechsundfünfzig Jahre alt. Der Täter stieg zwischen Lille und Paris an der Station Haute Picardie in den TGV. Sie liegt zwischen den Stationen Paris Gare du Nord und Lille-Europe. Genau auf halber Strecke, mitten in der Landschaft. Niemand sah den Täter einsteigen. Soweit wir wissen, wartete er ab, dass Mikkel Jørgensen die Toilette aufsuchte. Als er herauskam, muss der Täter ihm die Injektion verpasst und ihn zurück in die Toilette gestoßen haben. Als man ihn eine Viertelstunde später fand, diagnostizierte ein Arzt, der im Zug ausfindig gemacht wurde, Herzinfarkt. Den Rosenkranz in Jørgensens Hand hielt man für ein Zeichen, dass er seinen nahenden Tod gespürt und gebetet hatte. Der Mord geschah am 20. Januar 2008, einem Sonntag, der Todeszeitpunkt wird zwischen dreizehn und vierzehn Uhr angegeben. Über das Motiv – nichts als Spekulationen. Jørgensen ist als Maler vor allem in Frankreich und in den USA bekannt, wegen seiner sehr realistischen Tierkreuzigungen. Er zeigt alle möglichen Tiere am Kreuz, mit Dornenkrone und Heiligenschein, und wird von Tierschutzverbänden einerseits hoch gelobt, andererseits kritisiert. Sein Bruder hatte die Autopsie verlangt. Sonst wäre die Vergiftung nicht erkannt geworden. – Das zweite Opfer war eine Tschechin. Nela Sykora aus Brno, dem früheren Brünn. Theaterleiterin, achtundvierzig Jahre, unverheiratet. Sie hatte ein freies Theater namens Potulné Divadlo , was wohl so etwas wie Thespiskarren bedeutet. Ermordet wurde sie am 14. August 2008, einem Donnerstag, gegen achtzehn Uhr, während eines Spaziergangs im Park Luzanky von Brno. Sie saß auf einer Bank. Keine Zeugen. Keine DNA, keine Fingerabdrücke. Aber Abrieb von Wildlederhandschuhen, mittelbraun. Motiv: unbekannt. Frau Sykora hatte noch Kraft, den Rosenkranz zu zerreißen. Es gab allerdings in Zeitungsleserbriefen Drohungen gegen sie nach der Inszenierung eines Stückes, das von vielen Zuschauern als Verunglimpfung der Religion aufgefasst worden war. Ich habe den Titel nicht behalten.« »Es heißt Das Liebeskonzil und wurde am Ende des 19. Jahrhunderts von einem deutschen Autor verfasst: Oskar Panizza.« Lecouteux hatte auf den Moment gewartet, an dem er die von Frau Bossi aus dem Gedächtnis zitierten Fakten ergänzen konnte.
    Sie nickte ihm zu. »Vielleicht machen Sie hier weiter, Herr Kollege?« »Wenn Sie das wünschen, will ich es gern tun.« Er zog seinen Zettel in Sichtweite heran. »Wir haben die Personen, die Leserbriefe gegen Frau Sykora und ihre Theatertruppe geschrieben haben, überprüfen lassen. Kein Tatzusammenhang. Das Stück hat meine Frau für mich gelesen, es ist wirklich an Frechheit gegenüber

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