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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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krank und pervers gemachte Welt! Ich habe Ranuccio geliebt, Heilige Jungfrau. Ich habe ihn geliebt auch seiner Schwäche wegen. Aber ich habe nicht geahnt, dass er Dich verraten würde. Er! Der mir einer der liebsten war, den ich mit jeder Aufgabe betrauen konnte, der mit glänzenden Augen in Deinem Dienst, Gebenedeite, alles tat, was ich ihm auftrug! Er!
    Er hat uns verraten. Er hat uns der Kirche Roms preisgegeben, dieser abgefallenen Kirche, in der die Knechte der Schlange die Altäre in Tore zur Hölle verwandeln, dieser Kirche ohne Christus, ohne Maria, ohne Gottvater und ohne Heiligen Geist! Dieser Kirche hat er alles offenbart, was unter uns mit Dir vereinbart war. Ich habe uns gerettet. Um welchen Preis. Bitte für mich in der Stunde meines Todes! Gebenedeite. Du meine einzige tiefe Liebe. Lass mich Dein Sklave sein! Nur wenn wir ganz und gar Dir gehören, können wir siegen. Du kennst das Urteil der Inquisition. Die teuflische Verfasserin jenes Buches Mirjam, vergib mir, dass ich Dir gegenüber davon überhaupt spreche, sie ist dem Tod verfallen. Einhellig haben wir ihre Verbrennung beschlossen, und Giovanni Salviati hat das Gift schon gesammelt, das ihr inneres Feuer entzünden wird. Wir sind uns sicher, dass wir sie töten müssen. Sie hat Dich verleumdet. Sie hat Dein Leben geschändet. Sie hat Deine Göttlichkeit geleugnet. Sie hat im Auftrag Luzifers die Auferstehung Deines Sohnes und Deine Himmelfahrt in ihrem Buch getilgt und eine große Lüge verbreitet, die alle Menschen, in deren Augen sie fällt, verderben und der Hölle zutreiben soll. Ich zweifle nicht an unserem Urteil. Du weißt aber, dass ich trotz peinlicher Prüfung unserer Gründe immer noch einmal Dich, unsere Mutter und Himmelskönigin, befrage, ob wir sehenden Herzens geurteilt haben oder verblendet waren durch unseren brennenden Wunsch, Dir zu dienen. Ob unser Eifer uns irregeleitet hat. Denn nur Du siehst im Innersten unserer Herzen die Wahrheit. Du weißt besser als wir selbst, was uns antreibt und was in uns handelt. Du bist die Allwissende, Allheilende, Allnährende und Allführende. Ich habe Domenico de Cupis ausersehen, die Verurteilte dem inneren Feuer zu übergeben. Er ist auf dem Weg und wird zügig handeln, um Deine Schmerzen zu lindern. Eine andere Entscheidung bereitet mir Sorge: Ich muss Domingo Idiocáiz auf die Spur eines Zeugen setzen. Doch ich traue ihm noch immer nicht. Ich werde Gian Pietro Carafa bitten, Domingo unerkannt zu folgen. Vielleicht ist der griechische Zeuge der Urteilsvollstreckung an Pfarrer Lucius Mawhiney in Edinburgh ein unschuldiger Mann, der nichts erzählen will, sich nicht erinnert, ein orthodoxer Christ vermutlich – dann werden wir ihm nichts tun und Domingo wird, mit Carafa in seiner Spur, hierher zurückkehren. Doch wenn der Grieche Domingo in Edinburgh erkannt hat und reden will, wird er ihm jetzt begegnen wie dem Tod. Wenn Domingo ausweicht? Wenn er uns verrät? Carafa kann ich trauen. Er handelt entschieden wie der Papst, dessen Namen er trägt. Doch handle ich richtig? Handle ich Deinem Willen gemäß? Ich sehne mich nach einem Zeichen, das mir Dein Einverständnis bekundet oder Deinen Widerspruch. Du weißt, dass ich Deiner Hilfe bedarf. Denn nicht wir entscheiden über Leben und Tod. Du entscheidest, Dein göttlicher Wille lenkt uns als Deine Soldaten. Du entscheidest über mich. Ich bin Wachs in Deinen Händen. Du formst mich nach Deinem Willen. Und wenn ich töte, tötet die Form, die Du mir gegeben hast. Zeige Dich, göttliche Geliebte! Zeige Dich! Ich schließe die Augen und warte auf Deinen Blick. Und warte auf Deinen lieblichen Mund. Du weißt, wie glücklich ich war auf den Wiesen bei Cork, an der Hand meiner Mutter, als wir Kräuter gesucht haben, in denen Dein Segen wirkte. Damals schon habe ich gedacht, dass ich Dein Kind bin, Dein Sohn, heilige, schöne Maria, ganz und gar Dir gehörend. Mein Herz erwartet Dich. Meine Seele! Ich bin bereit für Deine Erscheinung. Dignare me laudare te, Virgo sacrata. Da mihi virtutem contra hostes tuos!
    Er nahm die Hände von der Tastatur seines Notebooks, stand auf und ging wie in Trance durchs Haus hinunter in den Keller, wo er den Altar errichtet und mit kleinen Marienfiguren und Votivtafeln aus Lourdes, Fátima und Medugorje dekoriert hatte. Er zündete die Kerzen vor der bemalten mexikanischen Gipsstatue Mariens aus Guadeloupe an, hinter der das Holzkreuz mit dem geschnitzten Christus stand, kniete nieder und ließ seine betenden

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