Das Fest Der Fliegen
Fernsehprogramm, mit einer Schrotflinte erschossen hatte, als sie in ihrem Bett schlief. Vorsätzlich, wie er gestand. Täter und Opfer waren vierundsiebzig Jahre alt. Der Alte hatte ihn am Ende des Verhörs
gefragt. »Was soll ich denn jetzt machen, Herr Kommissar, ohne meine Frau ist das Leben doch nichts.« Mit
diesem verzweifelt fragenden Blick war er auf dem Bild
festgehalten. Swoboda war sicher, dass er die Verurteilung
nicht lange überlebt hatte.
Als er nach drei Stunden Schlaf herausgeklingelt wurde
und seinen ehemaligen Chef vor der Tür stehen sah, der
ihm anstelle einer Entschuldigung erklärte: »Der Pfarrer
Leon Schnaubert liegt tot in seiner Kirche«, nickte er, ließ
die Tür offen stehen, lief ins Atelier zurück, zog sich Jeans
an und einen ausgeleierten grauen Pullover, schlüpfte mit
nackten Füßen in seine Halbschuhe und war in wenigen
Minuten bereit, mit Klantzammer den kurzen Weg von der Prannburg zur Hedwigskirche hinunterzugehen. Ein tiefes, verärgertes Stöhnen war alles, was er von sich gab, als er die Leiche im Beichtstuhl sah. Das Tatortteam, das mit Swoboda über Jahre zusammengearbeitet hatte, unterbrach die Arbeit und trat zur Seite. Man betrachtete den ehemaligen Hauptkommissar mit Respekt, auch wenn er unverkennbar übernächtigt und etwas verwahrlost aussah. Sie kannten das von ihm: Minutenlang starrte er schweigend auf den Toten, sein Blick wanderte mit aufreizender Langsamkeit über die Situation mit all ihren Einzelheiten. Endlich drehte er sich zu Klantzammer und Törring um. »Es passt nicht. Ich meine, es stimmt nicht. Dieser Leon Schnaubert war doch ein ganz und gar harmloser Mensch, wodurch soll der denn provoziert haben, dass die fanatische Bande ihn umbringt? Hat er irgendwelche fortschrittlichen Ansichten? War er für die Homo-Trauung am Altar? Doch wohl nicht. Er ist auch keiner der Zeugen von Edinburgh. Also warum? Es geht einfach nicht zusammen.« Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar, und die anderen sahen die Farben an seinen Fingern, die er vor dem Einschlafen nur mit dem Mallappen abgewischt hatte. »Wir werden, glaube ich, auch kein Gift in ihm finden«, sagte Törring, »der Rosenkranz hat kein Medaillon mit dem Inquisitionskreuz. Bestimmt sein eigener.« »Und das andere zwischen den Fingern?« Törring sah ihn fragend an. »Was?« »Na die dünne weiße Linie zwischen Zeigefinger und Daumen! Da ist doch was, Turbo! Ich habe zwar meine Linsen jetzt schon die ganze Nacht drin, und meine Augen brennen wie Feuer, aber so genau sehe ich doch noch, dass da was Helles ist!« Einer der Spurensicherer, die unter ihren weißen Kapuzen alle gleich aussahen, beugte sich über die Hände des Toten. »Da ist wirklich was.« Er streckte seine Hand aus, ließ sich von einem Kollegen den Gummihandschuh ausziehen und einen neuen überstreifen, nahm eine Pinzette, zog mit ihrer Hilfe einen winzigen, weißen Fetzen zwischen den Fingern des Toten hervor und steckte ihn in eine kleine Plastiktüte mit Klemmverschluss. Kriminalrat Klantzammer hielt sich den Fund vor die Augen und sagte: »Papier. Eine Ecke. Von einem Blatt Papier. Nichts drauf.« »Wo ist der Rest? Und wer hat mit dem Pfarrer darum gekämpft? Warum wollte der das nicht aus der Hand geben? Oder waren es zwei, einer tötet, der andere reißt das Papier an sich?« Swoboda sprach mehr zu sich selbst als zu den Kollegen. »Wenn wir Glück haben, DNA-Spuren«, sagte Rüdiger Törring. Und Klantzammer fügte laut hinzu: »Das heißt für das Team: alles, was man überhaupt finden kann, ich will jeden Quadratzentimeter dieses Beichtmöbels genetisch dokumentiert haben. Schweiß, Flusen, Haare, Fett, Hautschuppen, Fußbodenstaub, das ganze Programm.« Er wandte sich der Putzfrau zu. »Wann haben Sie den Beichtstuhl zuletzt sauber gemacht?« Die Kroatin hob den Kopf, wischte sich die Tränen vom Gesicht und hörte auf zu schluchzen. »Gestern. Morgen.«
»Gründlich?« Sie stand auf. »Glauben Sie nicht?« »Doch, doch, alles in Ordnung. Dann haben wir wenigstens nicht zu viele Spuren.« Klantzammer drehte sich wieder zum Team um. »Habt ihr die Pfütze unter der Leiche? Urin? Vielleicht nicht nur seiner. Ja, so leid es mir tut, das ist nun mal kein gewöhnlicher Mord.« Swoboda hatte sich da bereits abgewandt und war ohne ein weiteres Wort zum Ausgang gelaufen. Er spürte, wie ihm die Nähe des Toten zu schaffen machte, im linken Ohr ging das Pfeifen los, ihm war schwindlig und schlecht, er wusste, es lag nicht daran,
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