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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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nur einem Menschen davon erzählen, dem ich genau so vertraue, wie Sie ihm vertrauen!« »Warum Alexander?«, fragte sie leise. »Weil ich auf seine Hilfe hoffte. Sie erinnern sich an das entsetzliche Gebrüll von Herrn Sinzinger bei der Feier, nachdem wir die sterbliche Hülle Ihrer Großmutter der Erde übergeben hatten? Da hat Herr Swoboda die Stärke bewiesen, die ich mir manchmal wünsche.« »Otto Sinzinger hat Ihr Kirchendach bezahlt«, sagte Martina. »Ihr Vorgänger hatte nichts dagegen, dass ein SS-Mann und Mörder, der mein Großvater ist, die Jungfrau Maria vor dem Regen des Himmels schützt. Ich kann verstehen, dass Sie nicht wissen, was Sie mit diesem schrecklichen Geständnis tun sollen. Aber warum fragen Sie nicht in Ihrer eigenen Kirche? Warum gehen Sie nicht zu Ihrem Bischof? Alexander müsste mit dem Papier sofort zur Polizei gehen, er würde nicht weitermalen, er würde wieder zum Polizisten. Sie haben recht. Er ist nicht verreist, er malt in seinem Atelier. Endlich malt er. Er überwindet seine Krise. Das hoffe ich. Außerdem müssen die Bilder bis zur Eröffnung fertig werden. Bitte stören Sie ihn nicht! Nehmen Sie diese Beichte mit. Kommen Sie in vier Tagen wieder. Bitte!« Sie fingerte eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Ihre Hände zitterten. Der Pfarrer faltete Ranuccios Geständnis und steckte es ein. Er stand auf, verneigte sich und verließ wortlos die Galerie. Martina sah ihm durchs Fenster nach und hatte das Gefühl, zugleich richtig und falsch gehandelt zu haben.
    Das Licht über der Stadt war heiter wie im Sommer. Ein weiches, seidiges Blau spannte sich über dem Neldaplatz und Leon Schnaubert entschied sich, langsam die Hauptstraße hinaufzugehen zum Schillerplatz, von dort durch den Alten Winkel und die sich daran anschließenden Gässchen zur Hedwigskirche. Er wusste, dass der sichtbare Himmel nicht der Himmel der Dreifaltigkeit war – dennoch sah er hinauf und kniff die Augen zusammen. Warum hatten ihm Gott, Jesus und Maria nicht geholfen? Die Antwort konnte er nur im Gebet erfahren. Und sollte die heilige Hedwig ihm befehlen, das Geständnis des Selbstmörders zu vernichten, würde er Folge leisten. Auch wenn an jeder Entscheidung der Zweifel nagte: Am Ende gab es nur eine Gewissheit in der Welt – den Gehorsam gegenüber Jesus Christus und gegenüber der heiligen Kirche. Als er über den Schillerplatz lief, trat der Ire aus dem Rathaus und grüßte ihn. Ja, dachte Schnaubert, ein paar gute Katholiken lebten in dieser Stadt. Mr. Burton jedenfalls kam nicht nur in die Kirche, um den Marienaltar zu studieren, sondern nahm auch jeden Sonntag die Kommunion, kniete vor dem Hedwigsaltar mit dem in Silber gefassten Knochenstück von der Kniescheibe der heiligen Jadwiga und legte nach der Messe einen Zwanziger in das Sammelkörbchen, das kein Klingelbeutel mehr war, weil die Gabe kleiner Münzen als Zeichen mangelnder Frömmigkeit galt. Burton lief auf den Pfarrer zu, streckte ihm die Hand entgegen und wedelte mit der Zeitung in der anderen. »Schrecklich, nicht? Und dass ihn keiner vermisst!« Schnaubert verstand nicht, bis der Ire ihm das Titelbild der Zungerer Nachrichten zeigte. Sie hatten auf Bitten der Polizei noch einmal das Gesicht des Toten aus der Mahr veröffentlicht, in einer digital verlebendigten Version, und die Bevölkerung gebeten, bei der Identifizierung zu helfen. Der Pfarrer schien einen Moment lang den Kopf abwenden zu wollen, beherrschte sich aber. »Ein so junger Mensch. Gott sei seiner Seele gnädig.« »Amen«, sagte Burton. Er beobachtete den Geistlichen, ihm war nicht entgangen, dass Leon Schnaubert verstört auf das Foto reagiert hatte. Kannte er Ranuccio? Was wusste er von ihm? Hatte Ranuccio ihm gebeichtet? »Hätten Sie denn heute gegen Abend etwas Zeit für mich? Nicht lange, eine halbe Stunde?« Schnaubert fühlte, dass er Nein sagen wollte, doch seine Pflicht als Seelsorger siegte. »Geht es noch einmal um den Marienaltar?« »Nein, nein!« Burton strahlte ihn heiter an. »Das Buch ist in Arbeit und ich danke Ihnen noch einmal, Sie haben mir sehr geholfen. Nein, ich – kommt es Ihnen merkwürdig vor, wenn ich beichten will?«
    »Ganz und gar nicht. Dazu bin ich ja da.« »Und Sünder sind wir alle, nicht wahr? Wie dieser arme Selbstmörder. Ich hoffe nur, er hatte gebeichtet.« »Das hat er«, sagte Schnaubert, ohne nachzudenken. »Dem Himmel sei Dank! Um sieben komme ich in die Kirche.« Der Pfarrer sah dem Iren nach, der die

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