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Das Fest Der Fliegen

Das Fest Der Fliegen

Titel: Das Fest Der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Hände in den Schoß sinken. Langsam verlor er sich in der Liebe zur Jungfrau. Er glaubte, laut zu sprechen, doch er fantasierte: Liebreiches Herz Mariae, sei meine Rettung!
    Sie erschien hinter seinen geschlossenen Augen. Aus der Lichtflut des Himmels schwebte sie herab und erteilte ihm Absolution für den Mord, den er begangen, für all die Mordtaten, die er geplant hatte, sie hob ihn zu sich empor, nahm sein Gesicht in ihre Hände, er ging mit ihr durch die blühenden Wiesen von Cork. Er sah zu ihr auf und hörte ihre mütterliche Stimme: »Tut, was ich euch sage, und es wird Friede sein.«
    Der Fundort der Leiche war der richtige Platz für Sünden und ihre Vergebung. Jürgen Klantzammer hielt zehn Schritte Entfernung vom Beichtstuhl ein, der als kleines, dunkles Haus mit drei Türen, niedrigem Dachfries und geschnitztem Mittelgiebel an die nördliche Innenwand der Kirche gebaut war. Der Kriminalrat war zu dieser frühen Stunde noch nicht ganz wach und unterdrückte ein Gähnen, das er im Angesicht des Todes für pietätlos hielt. In einer Bank hinter ihm weinte die Putzfrau, die den Toten am Morgen gefunden hatte. Die Kroatin, seit Jahren im Dienst der Hedwigsgemeinde, saß vornübergeneigt, mit der Stirn auf der Gesangbuchablage, schluchzte laut und ließ sich nicht beruhigen. Wie jeden Tag hatte sie am Morgen die Kirche betreten, beim Blick durch das Gotteshaus bemerkt, dass die rechte Tür des Beichtstuhls offen stand, und sich entschieden, ihre Arbeit hier zu beginnen. Als sie innen das Sprechgitter mit desinfizierendem Reiniger ansprühte, sah sie dahinter den bleichen Kopf des Priesters im Halbdunkel der mittleren Kammer. Erschrocken hatte sie sich bei ihm entschuldigt, dann aber, als er nicht antwortete, die zentrale Tür unter dem kleinen Holzgiebel geöffnet und Leon Schnaubert in seiner schwarzen Soutane auf dem Sitzbrett vorgefunden, in die rechte hintere Ecke gelehnt, als ob er nur einen Augenblick ruhen wollte. Aus dem Dunkel leuchtete sein weißes, von Entsetzen gezeichnetes Gesicht. Neben der Kroatin stand die Kriminalhauptmeisterin Sibylle Lingenfelser im Gang, die rechte Hand auf der Schulter der Weinenden, und wusste nicht so recht, was sie tun sollte.
    Das Tatortteam nahm sich seltsam aus vor dem Beichtstuhl. Die Experten in ihren weißen, leise knisternden Schutzanzügen hätten Engel sein können, dachte Klantzammer. Wer weiß schon, wie die wirklich aussehen. Wenn es sie gibt … Die Morgenmüdigkeit … Noch nie waren ihm an einem Tatort Engel eingefallen. Der Tote im Beichtstuhl schien zu ihm herüberzustarren. Die Spurensicherer hatten Scheinwerfer aufgestellt, die jedes Detail ins Licht hoben, den Rest der Kirche aber umso düsterer aussehen ließen. Die vom Schrecken verzerrte Miene des Pfarrers, seine gequollenen, offenen Augen ließen ahnen, welche Qualen er ausgestanden haben musste. Dass die schlaffe Zungenspitze im linken Mundwinkel sichtbar war, gab dem Gesicht etwas grauenvoll Komisches und erinnerte an das Stadtwappen, auf dem einem Ziegenkopf, der Zunger Zick , die rote Zunge aus dem Maul hing. Kriminalhauptkommissar Törring, der dem Fotografen Anweisung gegeben hatte, Nahaufnahmen von Hals und Händen des Toten zu machen, kam zu Klantzammer und sagte leise: »Rosenkranz in den Fingern. Aber ohne das Medaillon. Vielleicht sein eigener. Auch wahrscheinlich keine Vergiftung. Sieht ganz so aus, als sei er erwürgt worden. Soll ich das LKA?« »Nein«, sagte Klantzammer. »Sie rufen Frau Bossi an, ich hole Swoboda her, und nachher telefoniere ich mit Lecouteux. Solange wir nicht definitiv ausschließen können, dass das wieder ein Rosenkranzmord ist, behandeln wir ihn so, als ob er in die Serie gehört. Also nichts nach außen. Zwei Tage Sperre.«
    Törring nickte. »Vielleicht hat er auch nur einem Sünder
zu strenge Bußen auferlegt.«
»In so einer Lage sollte man auch als Protestant keine Witze
machen«, sagte Klantzammer, der selbst evangelisch war.
    Alexander Swoboda hatte die halbe Nacht lang gemalt.
Zwei weitere Porträts waren entstanden. Eines von Otto
Sinzinger, kenntlich, obwohl die Pinselstriche wütend und
ausfahrend waren, die Farben jenseits der Natur des Menschen, so, wie er den einstigen SSler jenseits des Menschseins sah, grob gemalt, abstoßend, ein Vieh. Das zweite
zeigte einen Rentner, der außerhalb von Zungen in einem
der alten Fischerhäuser am rechten Mahrufer mit seiner
Frau gelebt und sie vor zehn Jahren eines Nachts, nach
einem Streit über das

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