Das Fest Der Fliegen
Priester sprachen – etwas in ihm beharrte darauf und ließ sich nicht überzeugen. Es schien beständig zu wiederholen: Hier musst du suchen . Die einzige Möglichkeit, Gewissheit zu finden, war, die Galeristin zu prüfen. Er ging zu seinem Schreibtisch zurück, hob die Leselampe auf und griff an ihre Unterseite, um sich zu vergewissern, dass Ranuccios Geständnis, drei Mal gefaltet, dort noch mit Klebefilm befestigt war. Sollte er riskieren, Martina Matt mit dem Geständnis zu konfrontieren? Er könnte Sätze daraus zitieren, als ob sie ihm gerade einfielen. Vor dem Porträt in der Ausstellung. Wörtliche Formulierung, die sie kennen musste, als ob er sie vom Bild ablesen würde. Die Galeristin dabei im Auge behalten… Was aber, wenn der Verdacht sich bestätigte? Sie vielleicht sogar zugab, das Geständnis gelesen zu haben? Natürlich hätte sie Swoboda davon erzählt, vielleicht auch der Polizei. Aber sie war die Zeugin! Vor Gericht wäre nur ihre Aussage von entscheidendem Gewicht. Er musste darauf vorbereitet sein. Er durfte dann nicht als Leicester Burton die Galerie verlassen, sondern musste als Mitglied der Inquisition handeln …
Er schlug seine Hände gegeneinander, um sich zur Vernunft zu rufen. Er fantasierte ja von ihr wie von einer Schuldigen! Alles könnte anders sein. Die Engelslegion nahm keinem Unschuldigen das Leben. Die Inquisition handelte gerecht! Darauf hatte er immer bestanden. Denn es war die spanische Inquisition, die das Recht reformiert hatte. Er selbst hatte seine Mitbrüder darüber aufgeklärt, dass zuvor nur zwei oder mehr Parteien ihren Streit vor dem König darlegten, und wer besser reden konnte, gewann. Erst die Inquisition führte den Ankläger und den Verteidiger ein, die zwischen den Streitparteien und dem Richter standen … »Martina Matt ist noch nicht einmal hinreichend verdächtig, eine Hexe zu sein!« Er hörte dem Satz nach, den er eben ausgerufen hatte. Hatte er gesprochen? Was in ihm hatte gesprochen? Maria? »O huldreiche Immaculata! Ich werde mit aller Milde, die ich von dir erfahre, diese deine Tochter prüfen. Wenn du mir hilfst, Gnadenreiche, wird sie eine der unseren. Wie viel lieber würde ich sie überzeugen! Du weißt, ich töte nur aus Liebe zu dir.« Er setzte sich an den Schreibtisch, lehnte sich im Stuhl zurück, schloss die Augen und stellte sich Martina Matt vor. Auf der Zeitspur seines Lebens kehrte er zurück in das irische Kloster, wo der deutsche Mönch Herbert ihn in den Legenden der Heiligen unterwiesen hatte. Er hörte wieder die Stimme des Paters: »Denke zurück an die frühe Zeit der Christen, Leicester, etwa zweihundert Jahre nach der Kreuzigung unseres Herrn! Martina war Tochter eines römischen Konsuls. Man zwang sie, im Tempel des Gottes Apollon ein Opfer zu bringen. Sie aber schlug das Kreuz, und die Statue des Gottes zerbrach, sein Tempel stürzte ein. Man folterte Martina. Der Himmel nahm ihr die Schmerzen. Man warf sie im Colosseum einem Löwen zum Fraß vor. Er legte sich ihr zu Füßen und zeigte sein Bauchfell wie eine Katze. Man stellte sie auf den Scheiterhaufen. Ein Regen kam, und das Feuer ging aus.« Leicester hatte gefragt, was dann geschah, sie musste doch Märtyrerin sein, da sie heiliggesprochen worden war. »Ja«, sagte Pater Herbert, »ein Soldat sollte sie enthaupten, er zögerte, doch der Teufel nahm Besitz von seiner Seele, und er schlug der heiligen Martina das Haupt ab.« Petrus Venerandus richtete sich auf. »Maria, schönste aller Frauen, dein Wille ist der meine, ich bin das Werkzeug deiner Pläne.« Mit geschlossenen Augen sah er klar und deutlich, was er zu tun hatte.
Aristos kam gegen elf. Während der Fahrt auf der Küstenstraße zum Süden der Insel saß Swoboda mürrisch und dösend im Fonds des Wagens. Er zog seinen Strohhut so weit in die Stirn, dass die Augen beschattet wurden. Was Olga als Frühstück servierte, hatte er nur aus Höflichkeit zu sich genommen, die Nachwirkungen des Tsipouro waren davon nicht entscheidend gemindert worden. Gut gelaunt und frisch saß Turbo neben dem Fahrer, redete über Gott und die Welt, Aristos erzählte sein Leben, verwies auf vorgelagerte Inseln im blauen Meer und besonders schöne Ausblicke, bedauerte, an Buchten wie Aliki vorbeifahren zu müssen, wo man auch jetzt, im Oktober, noch baden und frischen Tintenfisch vom Grill essen könne. Als die Südspitze längst umrundet und die Einfahrt nach Limenaria erreicht war, setzte Swoboda sich auf und fragte, ob man
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