Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
Vom Netzwerk:
zu nehmen? Wenn er sie nahm, fiel es ihm oft schwer, Dinge mitzukriegen. Sein Kopf war dann wie Watte. Er wurde zu entspannt, zu dumm. Er nahm alles locker, und die Bösen machten Liegestütze auf dem Parkplatz. Sie entspannten sich nie. Manchmal hörte er sie – zum Beispiel hatte er sie in den Bäumen gehört oder manchmal auch auf der Treppe. Was wäre, wenn er da nicht aufgepasst hätte? Scheiße noch mal, er wusste genau, was dann passiert wäre. Zum einen läge er jetzt nicht hier in seinem gemütlichen Bett. Er wäre nirgendwo. Er wäre eine Null in einem Himmel von Nullen. Und sie schleichen sich in einen hinein und machen einen quasi zu ihrem persönlichen Roboter. Das hat er schon gesehen. Bei diesem farbigen Cop, zum Beispiel – bei dem hat er sie im Gesicht gesehen, in den weißen Zähnen. Und wenn er nicht aufgepasst hätte, wäre er jetzt wahrscheinlich im Gefängnis oder tot. Er sah sie sogar in Hercel. Hatte der kleine Scheißer die Cops nicht in den Keller geführt? Sie schwätzten von einer Schlange, aber sie suchten keine beschissene Schlange, sie wollten ihn, und er konnte von Glück sagen, dass er nicht in ihrem Knast gelandet war. Nein, das war kein Glück. Er war cleverer als sie. Zumindest vorläufig.
    Den Bösen war es egal, wen sie übernahmen. Sie konnten auch einen Hund oder eine Katze übernehmen. Hatte er das etwa nicht schon gesehen? Und er wusste hundertprozentig, dass sie Tote übernahmen. Er hatte gesehen, wie sie sich bewegten, hatte gesehen, wie sie sich umdrehten und ihn ansahen, als hätte er ihnen das angetan. Den einen Toten hatte er erstechen müssen, um ihn zur Ruhe zu bringen. Er hatte ihm das Messer ins Herz gestoßen. O ja, sie konnten Menschen übernehmen. Hatte er sie etwa nicht nachts draußen vor seinem Fenster gesehen, wie sie auf dem Rasen standen und zu ihm heraufstarrten?
    Carl hörte ein Geräusch am seitlichen Fenster. Er drehte den Kopf und schaute hin. Nichts. Als er sich zurückdrehte, fingen die Astlöcher an, sich zu bewegen. Zuerst war er nicht ganz sicher. Er sah sie an, machte die Augen zu und schaute wieder hin. Sie bewegten sich. Über seinem Bett waren neun auf dieser Seite, neun auf der anderen und neun am Ende. Drei, drei, drei, drei. Manchmal waren es zwölf und zwölf. Manchmal sechs, sechs, sechs, sechs. Manchmal waren es Augen, manchmal kleine Türen, manchmal kleine Düsen, die Gas ins Zimmer pumpten. Aber das konnten sie nicht, wenn er sie im Auge behielt. Er musste sie beobachten wie ein gottverdammter Adler. Deshalb musste er aufpassen, dass er nicht einschlief. Dann würden sie nämlich Zeug auf ihn runterpumpen, so was wie Säure. Davon würde seine Haut abblättern, und dann könnte er ein Stück davon packen und abreißen. Sie würden ihn in eine Pfütze verwandeln, in einen Pissfleck.
    Carl fing an zu knurren.
    Er fühlte, dass seine Finger steif wurden, nur die Spitzen, als ob er Krallen kriegte, kleine Klingen an den Fingerspitzen. Als er knurrte, wurden die Astlöcher langsamer. Er kannte ihre Tricks. Sie waren tückisch, aber sie waren klein. Sie waren fies, aber er wurde mit ihnen fertig. Darum mussten sie abwarten, bis er schlief, abwarten, bis sie sich in seine Kopfgedanken schleichen konnten, in seine Träume, und ihn dazu brachten, dass er wieder heulte, heulte wie ein kleiner Bengel.
    Wieder war da ein Geräusch am Fenster an der Seite, ein Stoßen. Er drehte sich um und sah hin. Nichts. Doch sie waren da draußen. Er hatte sie auf dem Rasen gesehen. Er hatte sie auf der Treppe gehört. Jetzt waren sie am Fenster. Die Astlöcher fingen an zu zappeln. Sie wussten, was im Gange war. Das Zappeln war wie ein Kichern. Konnte er sie hören? Er hörte nur den Wind.
    Er musste sie austricksen. Sie waren klein, und sie hatten Angst vor ihm. Einer nach dem andern hatten sie Angst vor ihm. Waren sie alle zusammen, würden sie über ihn hinwegrauschen wie eine Flut. Sie wollten ihn zu einem Teil ihres furchtbaren Winselns machen – des Winselns in den Bäumen und des Winselns unter der Tür. Er hörte sie sogar bei Brantley. Er hatte das Ohr auf die Brust eines Toten gelegt und sie in ihm winseln gehört. Er hatte die Hände ins Gedärm eines Toten geschoben und die Vibration gespürt, den kleinen Motor der Toten.
    Wieder das Fenster. Bump, bump . Carl knipste das Licht aus und stand auf. Er wusste, wie er sie austrickste, er konnte schleichen. In der obersten Schublade der Kommode lag eine kleine Taschenlampe. Manchmal benutzte er sie

Weitere Kostenlose Bücher