Das Fest der Schlangen
Periode. Sie sagt, sie hatte grässliche Krämpfe. Hat meine Frau auch. War auf der Toilette und hat sich gekrümmt.«
»Wie lange?«
»Lange genug.«
Das Zimmer, in dem Alice Alessio war, lag der Aufnahmetheke gegenüber. Ein Polizist aus Brewster – George Morelli – stand mit verschränkten Armen vor der Tür. Mit seinem rasierten Schädel, dem Schnauzbart und der wütend gerunzelten Stirn sah er aus wie ein türkischer Haremswächter, den man in eine blaue Uniform gesteckt hatte.
Als Woody das Zimmer betreten wollte, sah er, wie zwei Männer und eine Frau von der kriminaltechnischen Einheit ihre Ausrüstung durch den Eingang hereinschleppten. Woody kannte sie gut, und sie nickten einander zu. Der Corporal, Frank Montesano, kam herüber, während ein Detective aus Brewster die anderen zum Aufzug führte.
»Haben Sie hier einen Zirkus, Detective?«, fragte Montesano.
»Das ist nicht mein Zirkus, will ich hoffen.«
»Warum ein Baby klauen?« Montesano war kompakt wie ein Hydrant und um die vierzig.
»Wer weiß? Um es zu verkaufen, um Lösegeld zu erpressen, um es einzutauschen – was weiß ich?« Woody hatte über diese Frage noch nicht ausführlich nachgedacht. Die verdammten Schlangen kamen ihm immer wieder in die Quere.
»Ich nehme an, das Krankenhaus verwendet kein Lo-Jack-System.« Als er Woodys verständnisloses Gesicht sah, fügte er hinzu: »Das ist ein kleiner Sender, den man dem Baby um das Fußgelenk schnallt. Bringt jemand das Kind aus einem bestimmten Bereich hinaus, gehen alle Türen und Aufzüge zu, und ein Alarm klingelt. So was gibt’s auch mit GPS . Viele Krankenhäuser benutzen sie.«
»Tja, Morgan Memorial nicht.«
Als Montesano zur Entbindungsstation hinaufgefahren war, fragte Woody sich: Warum war das Baby geraubt worden? Polizisten liefen hin und her durch die Notaufnahme, erledigten echte oder erfundene Aufgaben und waren froh, einmal aus der Routine ausbrechen zu können. Langeweile, dachte Woody, war für Polizisten genauso gefährlich wie das Eingehen von Risiken. Aber der Zwischenfall im Morgan Memorial war nichts, womit Bonaldo allein fertigwerden konnte. Hier mussten Aussagen zu Protokoll genommen und Beweismaterial gesammelt werden, man musste das Krankenhaus und die nähere Umgebung absuchen, bei der Verlegung der Patienten in andere Stockwerke behilflich sein und nach Schlangen suchen. Ein logistischer Albtraum. Praktisch gesehen war das ganze Krankenhaus ein Tatort. Es konnte Tage dauern, alles in Ordnung zu bringen. Dabei hatte Woody nichts gegen die Arbeit. Was ihn störte, war Durcheinander, und davon hatte er hier eine Menge vorgefunden. Aber ganz gleich, wie schlimm es jetzt schon war, es würde noch schlimmer werden, wenn die Nachricht sich in der Welt verbreitete. Inzwischen trafen die medizinischen und administrativen Führungskräfte des Krankenhauses ein, darunter auch die Chefin, Dr. Joyce Fuller, die keine Medizinerin war, sondern Diplome in Betriebswirtschaft und Klinikverwaltung innehatte. Außerdem hatte jemand unter den ortsansässigen Psychologen und Therapeuten herumtelefoniert, die bei der allgemeinen Hysterie helfend eingreifen sollten. Viele Patienten mussten beruhigt werden und etliche Mitarbeiter ebenfalls. Obwohl das Krankenhaus nur fünfzig Betten hatte, beschäftigte es rund zweihundert Personen. Woody schätzte, dass inzwischen alle erfahren hatten, was passiert war, und jeder von ihnen würde mindestens fünf Freunde und Verwandte anrufen.
Um alles noch komplizierter zu machen, hielt ein Krankenwagen mit einem echten Notfall vor dem Eingang. Sanitäter und Fahrer holten einen älteren Mann durch die Hecktür heraus, einen Bewohner des Altenheims Ocean Breezes, der an Brustschmerzen litt. Mehrere Cops warfen dem alten Knaben gereizte Blicke zu, als wäre er ein unbefugter Störenfried, den man woandershin bringen sollte. Woody kannte die Besatzung des Krankenwagens: Seymour Hodges und Jimmy Mooney. Hodges war vor ungefähr vier Monaten aus dem Irak zurückgekommen, und Woody hatte mit ihm darüber reden wollen, wenn auch nicht so dringend, dass er ihn tatsächlich angerufen hätte. Jetzt richtete er seine Aufmerksamkeit auf Schwester Spandex.
Alice Alessio lag auf dem Rücken, presste die Hände an die Wangen und schien sich auf die Deckenbeleuchtung zu konzentrieren. Sie war wie erstarrt, aber alle paar Augenblicke begann sie so heftig zu zittern, dass das Bett ratterte, und dann wimmerte sie. Die ältere Schwester, die am Bett saß,
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