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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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überall im Krankenhaus Schlangen. Das ist wie ein hysterischer Reflex.«
    Bonaldo sagte das alles in einem einzigen langen Atemzug, und Woody hatte das Gefühl, dem Chief machte das alles zu viel Spaß. Er fand, Bonaldo übte das Amt des Polizeichefs kommissarisch so aus, als »spielte« er Polizeichef. Tatsächlich war der Mann Immobilienmakler und tat der Stadt einen Gefallen. Streitigkeiten im Department und Freunde im Rathaus hatten ihm den Job besorgt, aber dazu später mehr.
    »Und das Baby?«
    Sie standen vor der Aufnahmetheke. Die Frau, die dahinter arbeitete, tat, als höre sie nicht zu.
    »Da fragen Sie mich was. Wie vom Erdboden verschwunden.«
    Zum ersten Mal, und von da an noch oft, kam Woody der Verdacht, dass die Schlange oder die Schlangen Vorrang vor dem Baby hatten. Bonaldo hätte es bestritten, aber es war nicht das verschwundene Baby, das ihn veranlasste, mit den Händen zu fuchteln und die Augen zu verdrehen, und das Baby brachte auch seine Polizeikollegen nicht dazu herumzurennen, in Schränke und unter Betten zu schauen und mit höchst erregtem Schrecken zu reagieren, wenn einer nach dem anderen sich einbildete, er habe aus dem Augenwinkel etwas Buntes vorbeihuschen sehen. Woody hatte eine ziemlich aktive Neigung zu Schreckreaktionen aus dem Irak mitgebracht – Susie näherte sich ihm niemals von hinten, ohne sich rechtzeitig bemerkbar zu machen –, doch verglichen mit den Leuten hier kam er sich wie ein blutiger Anfänger vor. Andererseits hatte er Schlangen immer schon gemocht.
    »Und wer leitet die Ermittlungen?«
    »Ich, nehme ich an.« Das schien Bonaldo verlegen zu machen. »Hier ist auch noch ein dienstfreier Captain aus South Kingstown, der eine große Hilfe ist, und ein Lieutenant aus Westerly, aber es ist mein Zuständigkeitsbereich. Habe ich schon gesagt, dass einer vom FBI unterwegs ist, aus Providence oder aus Boston? Entführung, wissen Sie, das ist deren Metier. Und jetzt sind Sie auch hier, Corporal. Sie sind die State Police. Darum habe ich Sie angerufen.«
    »Toll«, sagte Woody ohne Begeisterung. Er spürte, dass hier eine Menge beiseite geräumt werden musste, bevor er wirklich auf das Baby kommen konnte. Überall waren Cops, in der Notaufnahme, oben und unten, und es kamen immer noch mehr. Die meisten kannte er, und mit einigen war er gut befreundet: Basketballkumpel, Anglerkameraden. Es war wie ein Kongress, über den die Boulevardpresse berichten würde. Rhode Island hatte mehr Ähnlichkeit mit einer großen Kleinstadt als mit einem Staat; es hatte ein Drittel der Größe von San Diego County, wo seine Schwester wohnte, und ein Drittel der Einwohnerzahl. Bald würden Cops aus Woonsocket aufkreuzen, das fünfzig Meilen weit weg an der Grenze nach Massachusetts lag, so weit, wie man sich von Brewster entfernen konnte, ohne Rhode Island zu verlassen. Und die kriminaltechnische Einheit kam aus North Scituate, das ebenfalls fast fünfzig Meilen weit entfernt war.
    »Was sagt Miss Spandex?«
    Bonaldo gab ein Grunzen von sich, das ein Lachen sein konnte, und klärte Woody über ihren Namen auf. Schließlich sagte er: »Übrigens war ich mit ihrer Mutter auf der Highschool. Eine scharfe Braut, das können Sie mir glauben.« Er knackte mit den Fingerknöcheln, um seine Worte zu unterstreichen.
    Woody erfuhr, dass Bonaldo praktisch nur mit Alice gesprochen hatte, um die fundamentalen Details in Erfahrung zu bringen – männlicher Säugling verschwunden, Schlangen im Bettchen –, denn es sei schwer, mit ihr zu reden. »Das macht die Hysterie.« Andere Schwestern versuchten, sie zu beruhigen. South Kingstown hatte versucht, mit ihr zu sprechen, und Westerly ebenfalls, aber sie hatten nur erfahren, dass es hier vielleicht wirklich eine ganze Menge Schlangen gab. »Wie im Zoo«, sagte Bonaldo.
    Bei den Techniken zur Aggressionsbewältigung, die Woody lernen sollte, hatte eine darin bestanden, drei Arten von Geduld zu üben. Eine davon war die Geduld, mit der man freiwillig Leiden akzeptierte. Damit versuchte er es jetzt, nicht ohne einen Hauch von Ironie. Die Alternative bestand darin, loszubrüllen.
    »Und die Mutter?«
    »Oh, sie packt es ganz gut, wissen Sie. Wenn man bedenkt.«
    »Vielleicht rede ich mal als Erstes mit der Schwester.«
    »Das Problem«, sagte Bonaldo, »ist, dass dieses Spandex-Mädchen im Dienst sein sollte und nicht war. Ich meine, sie war nicht auf der Etage. Die Babys waren allein, ich weiß nicht, wie lange. Es waren die Tage … Sie wissen schon, ihre

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