Das Fest der Schlangen
der Trooperdisziplin und andererseits eine Reihe von vermasselten sexuellen Beziehungen, sein Jähzorn oder – wie man ihm sagte – ein Aggressionsbewältigungsproblem sowie eine Frage, die er wiederholte wie den Refrain eines Liedes: »Was zum Henker glaubst du, was du tust?« War er glücklich? Er nahm es an. Er dachte nie darüber nach. War er deprimiert? Na, alles war prima gewesen, bis Susie abgehauen war, also war es vielleicht doch nicht so prima gewesen. Und sonst? Die paar Augenblicke des Grauens im Irak sprangen manchmal in seiner Erinnerung herauf, und dann sah er nur blitzende Lichter und Explosionen und, ach ja, fliegende Körperteile. Als er letzte Woche bei einem Therapeuten gewesen war – weil er immer noch hoffte, seine Beziehung zu retten –, hatte Dr. Nardone gefragt: »Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?« Fast hätte er geantwortet: »Im Knast«, aber dann hatte er sich auf die Zunge gebissen. Wo war denn das hergekommen? , fragte er sich.
Was hatte er als Trooper gelernt? Ein absolut ausdrucksloses Gesicht zu machen, Zuversicht und Optimismus auszustrahlen, mit dem Schlimmsten zu rechnen, in langweiligen Situationen wachsam zu bleiben, fünfmal die Woche ins Fitness-Studio zu gehen, maßvoll zu lügen und die Finger von der Flasche zu lassen. Es gefiel ihm. Ihm gefielen der gelegentliche Adrenalinstoß und die Routine, er mochte die Klarheit und die Truppe, mit der er zusammenarbeitete, Männer und Frauen. Es gefiel ihm, mit Leuten zusammen zu sein, denen er vertrauen konnte. Das war, mehr oder weniger, Woody Potter. Alles in allem ein ziemlich guter Kerl, auch wenn es noch Raum für Verbesserungen gab, wie er selbst als Erster zugeben würde. Ach ja, groß war er und muskulös und hatte kurzes dunkles Haar – eher Fransen als Frisur –, dunkle Augen, ein vorstehendes Kinn und eine sieben Zentimeter lange Schrapnellnarbe links am Hals. Einen halben Zentimeter tiefer, und er wäre tot gewesen.
Von Woodys kleinem Cape-Haus in Carolina bis zum Morgan Memorial waren es acht Meilen: ein gutes Stück durch den Wald auf der Route 2 , eine kurze Pause an der Ampel auf der Route 1 , und dann noch drei Meilen auf der Water Street, eine Fahrt, die durch die Dunkelheit führte und an einem Drei-Manegen-Zirkus endete, da Streifenwagen und Noteinsatzfahrzeuge aus einem halben Dutzend Städten es für angebracht gehalten hatten, hier einen Besuch abzustatten. Alle standen mit blitzenden Lichtern und schnatternden Funkgeräten um den Eingang der Notaufnahme herum. Zwei Kranken- und ein Rettungswagen waren auch da, und etliche der anwesenden Polizisten hatten dienstfrei. Ob sie helfen wollten? Nein, sie waren gekommen, um sich den Spaß anzugucken.
In der Notaufnahme waren noch mehr, aber der einzige Patient war ein dicker Cop aus South Kingstown, der wegen eines verstauchten Knöchels behandelt wurde. Er war umgeknickt, als er eilig hineinstürmte, um die Schlange zu sehen. In einem Beobachtungszimmer lag Alice Alessio, die Schwester, die auf der Entbindungsstation Dienst gehabt hatte. Ihr hysterischer Anfall, erfuhr Woody, klinge vermutlich langsam ab. Nach kurzer Zeit nannte er sie Schwester Spandex wie alle anderen. Ein paar sagten auch Alice Spandex, und als Woody den Namen das erste Mal hörte, dachte er, sie wäre aus Osteuropa.
Die beiden Mütter auf der Entbindungsstation – eine davon war die junge Summers, deren Baby verschwunden war – hatte man auf eine andere Etage verlegt. Der kommissarische Polizeichef Bonaldo wollte die Entbindungsstation komplett räumen. »Das große Problem«, sagte er zu Woody, »sind die Schlangen. Wir haben eine gefunden, die sich durch das Schwesternzimmer schlängelte. Ich meine, Alice Spandex kann sich nicht erinnern, wie viele sie gesehen hat. Sie sagt, fünf, vielleicht zehn. Aber sie denkt nicht klar.«
Das ist wirklich ein Zirkus hier , dachte Woody. »Sind sie giftig?«
Bonaldo war ein Mann mittleren Alters mit beginnender Glatze und einem roten, aufgedunsenen Gesicht. Er war groß, etwas über eins achtzig, aber Woody war größer. Bonaldos randlose Brille saß schief auf der Nase, und sein blaues Hemd steckte nur halb in der Hose. »Scheiß Kornnattern – ungefähr die freundlichsten Schlangen, die man finden kann, und die, die wir gefunden haben, sah aus, als wäre sie bekifft. Fast eins achtzig. Und hübsch. Sieht aus wie eine Halloween-Zuckerstange. Aber wie viele sind da draußen noch unterwegs? Schwestern, Patienten, Ärzte – die sehen
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