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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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Gefühle, Erinnerungen, Vorurteile, Ideen. Sie bestimmen unser Verhalten. Raja-Yoga betrachtet sie als Verunreinigungen. Mit seiner Hilfe versuchen wir, die Modifikationen zu tilgen, um auf diese Weise unseren freien Willen zurückzugewinnen und unser wahres Selbst zu erleben.«
    »Und Ihnen ist das gelungen?«
    »Es ist ein langer Prozess. Wir erforschen außerdem die Möglichkeiten, die Modifikationen bei anderen zu verändern.«
    »Und was bleibt übrig, wenn Sie sie wegnehmen?«
    »Nur das Selbst, das reine, unveränderte Selbst, frei von allen deterministischen Einschränkungen.«
    »Sie können die Modifikationen also sehen? Bei mir zum Beispiel?« Woody stellte diese Frage, ehe er sich versah.
    »Sie sind überall bei Ihnen. Ihre Kleidung, Ihre Haltung, Ihre Sprechweise. Zum Beispiel schneiden Sie Ihre Worte kurz ab, treiben sie schnell aus dem Mund, haben sie fest unter Kontrolle. Sie halten die Hände dicht am Körper, stellen aber die Füße ein wenig auseinander, als wären Sie sprungbereit. Glauben Sie, so sind Sie auf die Welt gekommen? Diese Dinge sind ein Ausdruck der Beziehung zu Ihrem Zorn. Sie halten Ihre Sprache unter Kontrolle, um sie zu bändigen. Aber Ihr aufbrausendes Temperament ist ein determinierender Faktor in Ihrem Verhalten. Es ist eine Modifikation. Sie ist Ausdruck einer Abwehrreaktion, und Sie wären glücklicher ohne sie.« Unvermittelt klatschte Chmielnicki in die Hände und beobachtete, wie Woody zusammenfuhr. »Und Sie haben eine ausgeprägte Schreckreaktion. Waren Sie beim Militär?«
    Woody fand, das Ganze war jetzt weit genug gegangen. »Und Sie sind ein Hexer?«
    Chmielnickis Lachen war eins von der dröhnenden Sorte, das genaue Gegenteil seiner Sprechweise. »Also, das ist eine ernsthafte Modifikation. Die meisten nennen sich lieber Wiccaner als Hexer. Sie praktizieren Wicca, das heißt, sie sind neo-paganistische Anhänger einer Naturreligion.«
    »Beten sie den Teufel an?«
    »Nicht unbedingt. Wiccaner sind keine Satanisten, doch von denen gibt es einige – die Kirche Luzifers, der Tempel des Set, die LaVeyanischen Satanisten –, und ein paar versuchen sich auch in schwarzer Magie. Außerdem gibt es ein breites Spektrum an grauer Magie – Gestaltwandlung zum Beispiel. Diese Leute folgen dem Weg der linken Hand, nicht dem der rechten Hand der konventionellen Religion. Die Wiccaner in ihren verschiedenen Varianten sind die größte Gruppe, allerdings treiben sich auch viele altmodische Hexen herum. Die Münze, die Mr. Hartmann hat fallen lassen, ist ein wiccanisches Symbol. Hätte der Stern auf dem Kopf gestanden, wäre das ein Hinweis auf Satanismus. Ich bin weder Hexer noch Wiccaner noch Satanist, aber ich bin mit den Anhängern aller drei Richtungen vertraut. Wenn man seine Modifikationen eliminieren will, erfordert das eine gewisse Neutralität.«
    »Gibt es Wiccaner in Rhode Island?« Die Frage kam Woody albern vor. War es das Thema, das ihm Unbehagen bereitete, oder der Mann, der das Thema definierte?
    »Wir haben mehrere hundert, verteilt auf diverse Zirkel. Es gibt sogar Satanisten. Ich sollte dazu sagen, dass die meisten Satanisten letztlich nicht an Satan glauben; das behaupten sie wenigstens. Satan ist eher ein Symbol für das, was ihnen wichtig ist: ihre Fleischlichkeit und das, was sie unsere fundamentale Natur nennen – extremer Egoismus, Selbstsucht und Zügellosigkeit. Ihre Philosophie geht auf Nietzsche und Ayn Rand zurück, ihre Praktiken auf Aleister Crowley.«
    Woody fiel es schwer, sich Hexen ohne Besen und spitze Hüte vorzustellen. »Und wie findet man sie?«
    »Man kann sie googeln. Die meisten haben Websites. Und viele bevorzugen die Bezeichnung Neoheiden. Sie praktizieren das, was sie heidnische Tugenden nennen. Manche interessieren sich auch für das Gestaltwandeln. Sie behaupten, sie könnten sich mit Hilfe von Zaubersprüchen und irgendwelchen Tinkturen in Tiere und Vögel verwandeln: in Wölfe, Katzen, Kojoten, Marder, Eulen oder Raben. Niemand hat Lust, ein Kaninchen oder ein Huhn zu sein. Fleischfresser mit widersprüchlichen Persönlichkeiten sind ihnen lieber.«
    »Warum soll man sich in ein Tier verwandeln, und wer würde das wollen?« Das Thema fraß an Woodys Realitätssinn. Er glaubte zwar nichts davon, aber es beunruhigte ihn, dass andere es taten.
    »Wir kennen diese Geschichten schon lange. Circe verwandelt Männer in Schweine. Daphne verwandelt sich in einen Lorbeer, um der Vergewaltigung zu entgehen. Gregor Samsa verwandelt sich

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