Das Fest der Schlangen
für sich allein, auch wenn der kleine Bonaldo nach der Schule mit ihm hergekommen war. Doch war der ein passender Freund? Sie war sicher, dass er es war, der den Hundehaufen aus Gummi auf dem Wohnzimmerteppich hinterlassen hatte. Wenn Carl den gesehen hätte, wäre es um Randy, ihren Zwergdackel, geschehen gewesen. Reines Glück, dass es nicht passiert war, denn Carl war aus irgendeinem Grund schon früh von der Arbeit nach Hause gekommen. Jetzt lärmte er oben herum, riss die Tür auf und schlug sie wieder zu. Sie wusste, sie musste mit ihm reden, aber sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Wenigstens trank er nicht. Als sie ihn vor zwei Jahren in der Kirche kennengelernt hatte, war er freundlich und faszinierend gewesen. Inzwischen ging er nicht mehr in die Kirche.
Wieder flog die Tür auf. Harriet wartete darauf, dass sie zugeschlagen wurde, doch stattdessen hörte sie Carls schwere Schritte auf der Treppe. Er kam schnell herunter, und sie machte sich auf etwas gefasst.
»Sieh zu, dass sie mit dem Geschrei aufhört!«, schrie er. »Wenn du sie nicht zum Schweigen bringst, tu ich es!«
Er hatte schon auf halber Höhe der Treppe mit seinem Gebrüll angefangen. Jetzt war er im Wohnzimmer und stand vor ihr. Er war unrasiert, und die tiefen Furchen in seinen Wangen bildeten dunkle Gräben. Die graue Katze bekam einen Blick von ihm ab und rannte aus dem Zimmer. Er trat noch nach ihr, verfehlte sie aber.
Harriet bemühte sich, ihm standzuhalten, doch sie konnte ihm kaum ins Gesicht sehen. »Was meinst du? Von wem redest du?«
»Von deiner Tochter! Sie schreit! Bringst du sie dazu?« Er brüllte nicht mehr; sein Sprechen war zu einem Knurren geworden.
»Lucy? Sie sieht in unserem Schlafzimmer fern.« In unserem früheren Schlafzimmer , dachte Harriet.
Carl marschierte durch den Flur und stieß die Schlafzimmertür auf, sodass sie gegen die Wand prallte. Lucy saß auf dem Boden. Im Fernsehen lief The Electric Company . Sie sprang auf. Der Ton war leise gedreht, und niemand schrie.
»Was zum Teufel machst du hier?«, brüllte Carl.
Harriet stellte sich hastig zwischen Carl und ihre Tochter. Sie sah, dass Lucy Angst hatte. Sie war ein dünnes Mädchen mit kurzem braunem Haar, und sie trug Jeans und ein grünes, mit hellgrünen Fröschen bedrucktes T-Shirt. Ihre beleuchteten Turnschuhe hatte sie ausgezogen – die Absätze blitzten bei jedem Schritt rot auf –, und sie lagen in einigem Abstand auf dem Boden. Harriet fand es unerträglich, Lucy verängstigt zu sehen. Es machte sie wütend.
»Sie tut doch gar nichts. Siehst du nicht, dass du ihr Angst machst?«
»Sie hat geschrien. Jetzt verstellt sie sich nur.«
Harriet wandte sich an Lucy. »Schätzchen, hast du hier Lärm gemacht?«
Lucy schüttelte den Kopf, ohne Carl aus den Augen zu lassen.
»Was ist mit dir passiert?« Harriet machte einen Schritt auf ihren Mann zu. »Wir sollten uns doch lieben.«
Carl öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und sie war sicher, er würde bestreiten, dass er sie liebe. Er sah beinahe verschlagen aus. Doch dann brauste sein Zorn wieder auf. »Immer verteidigst du sie – sie und den Jungen. Du siehst nicht, was sie treiben.«
»Und was treiben sie?«
»Der Junge schleicht sich nachts die Treppe hinauf. Schleicht auf der Treppe rauf und runter. Er denkt, ich kann ihn nicht hören, aber das kann ich doch.«
Harriet streckte die Hand aus und wollte Carls Arm berühren, doch er wich zurück. »Carl, wir müssen zu jemandem gehen und professionelle Hilfe holen. So können wir nicht weitermachen.«
»Wovon redest du?«
»Ich besorge den Namen eines Therapeuten.«
»Kommt nicht infrage, dass ich zu so einem gehe. Nie im Leben, verdammt. Ich kenne das schon. Tricks, weiter nichts. Glaubst du, ich sehe nicht, was hier los ist? Ich habe Augen im Kopf. Die Leute erzählen mir Sachen, eine Menge Sachen. Und diese Scheißkatze. Ich weiß alles über Katzen.«
Mit diesen Worten ging Carl durch den Flur davon. Der Dackel bellte ihn an, jaulte dann schrill auf und kam ins Schlafzimmer gerannt. Im nächsten Augenblick hörte Harriet, wie Carl die Treppe hinaufging. Dann brach sie in Tränen aus.
Wie Hercel es sah, fürchtete er sich nicht vor Mr. Krause, aber Mr. Krause machte ihm Angst. Ersteres war ein mehr oder weniger permanenter Zustand, Letzteres passierte hin und wieder, wie am Nachmittag, als Mr. Krause ihn angeknurrt hatte. Ihm war klar, dass Mr. Krause immer noch wütend war, weil Hercel die Polizisten in den Keller
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