Das Fest der Schlangen
könnte eingenickt sein. In der Fahrerkabine war es warm, und der fette Duft von gutem Gras hing schwer in der Luft. Blätter wehten über den Parkplatz. Manchmal, fand Jimmy, sahen sie aus wie umherhuschende Lebewesen.
»Wäre cool, einen eigenen Skalp zu haben«, sagte Jimmy. »Ich meine, den Skalp von jemand anderem. Glaubst du, die Indianer haben sie auch als ’ne Art Toupet benutzt?« Keine Antwort. »Hey, Seymour, was meinst du?«
Nach einer Weile sagte Seymour: »Ich hab noch nie einen Indianer mit Glatze gesehen. Ich glaube, die kriegen keine Glatze.«
»Scheiße, ich glaube, du hast recht. Mein Dad ist kahl wie ’ne Billardkugel, und ich kämme mich nur mit den Fingern, denn wenn ich eine Bürste benutze, ist sie voller Haare. Diese Haare sind sozusagen unersetzlich. Die sind wie Gehirnzellen. Du hast nur eine bestimmte Anzahl. Hab ich dir von dem toten Indianer erzählt? Ich hab Digger letzten Sommer geholfen, ihn zu begraben. Da war ’ne ganze Bande von denen, voll wie hundert Russen. Haben auf der ganzen Fahrt zum Indianerfriedhof an der Route zwei gehupt und Flaschen aus dem Fenster geschmissen. Wir sind über so’n Feldweg gefahren, und da hatten sie eine runde Grube ausgehoben. Das Blöde war nur, da lag ein dicker Felsblock unten drin. Unmöglich, da den Sarg reinzustellen. Na, sie haben gejohlt und geschrien, bis Digger sagte, er würde den Toten keinesfalls zurücknehmen. Da haben die Indianer den Toten einfach aus dem Sarg genommen und in das Loch gestopft, einfach um den Steinblock rum. Sah aus, als ob er ihn umarmte. Ein jüngerer Typ, noch ganz grün hinter den Ohren. Dann schaufelten sie Erde auf ihn. Einer der Indianer lud den Sarg hinten auf seinen Truck und nahm ihn mit nach Hause, als Hühnerstall. Später hat er erzählt, er hätte jetzt die besten Eier, die er je gegessen hat.«
Seymour blieb stumm. Jimmy hörte, dass er regelmäßig atmete, kurz davor, zu schnarchen. Jimmy zog an Seymours Arm, und der grunzte. »Hey, Seymour, bist du immer noch interessiert an einem Job bei Digger? Ich glaube, Carl macht’s da nicht mehr lange. Er ist total durchgeknallt. Heute Morgen war er oben und hat mit einem Toten geflüstert, hat ihn beinahe angeknurrt. Digger wollte wissen, was los ist, und er sagte, er habe sich nur geräuspert. Ja, Scheiße. Digger kann’s nicht leiden, wenn Leute sich komisch aufführen. Fuck, ich muss mich immer benehmen wie ein Chorknabe, wenn er da ist. Carl braucht nur noch einen kleinen Schubs. Hab ich dir von dem Typen erzählt, der einem anderen die Hand eines Toten in die Lunchbox gelegt hat? Der bescheuerte Carl würde heulend die Straße runterrennen, wenn ihm das passierte. Bist du noch interessiert? Zeit im Ofenpalast wäre damit auch verbunden. Da draußen ist Geld zu machen.«
Seymour antwortete nicht.
Jimmy zog ihn am Arm. »Bist du interessiert oder nicht? Ich meine, ich hab auch noch andere Freunde, die ich fragen kann. Dieser bescheuerte Carl macht mir Gänsehaut.«
»Na klar«, sagte Seymour. »Klar bin ich interessiert.«
Vicki Lefebvre stand vor der Tür ihrer Tochter und hielt den Atem an. Sie versuchte, das Holz mit den Ohren zu durchdringen und sie durch reine Willenskraft bis in das Zimmer mit den Adele-Plakaten zu strecken. Sie hätte die Tür öffnen und einen kurzen Blick hineinwerfen können, aber als sie das vor einer Stunde, um neun Uhr, wagte, hatte Nina geschrien: »Scheiße, kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Wieso vertraust du mir niemals?«
Wenigstens war ihre Tochter zu Hause und roch nicht nach Dope. Dreimal war Vicki in den Garten hinausgegangen, um zu sehen, ob bei ihrer Tochter das Licht brannte, nur hatte das nichts zu sagen. Nina konnte zur Musik einer Blaskapelle schlafen, wenn sie wollte. In das Zimmer ihrer Tochter war sie gegangen, weil sie Nina weinen gehört hatte. Vicki hatte im Flur gestanden und sich nicht entscheiden können, doch es kam nicht infrage, dass sie das Weinen hörte und nichts tat. Schließlich hatte sie ja kein Herz aus Stein. Gestern Abend und heute Abend war Nina zu Hause geblieben, und das war ein Fortschritt. Aber sie wollte immer noch nicht sagen, wo sie gewesen war, und als Vicki sie fragte, hatte Nina mit Wut und Angst zugleich reagiert und sie angeschrien, sie solle sich »verpissen«.
Dreimal hatte Vicki ihren Ex in Groton angerufen, und heute Abend hatte sie ihn erreicht. Offenbar hatte er es eilig gehabt, irgendwohin zu gehen, denn er hatte kaum zugehört. »Sie ist ein Teenager«,
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