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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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oder zehn Tagen werde er die Genehmigung erhalten. Aber die Antwort kam weder nach zehn noch nach fünfzehn, noch nach zwanzig Tagen. Am einundzwanzigsten Tag rief ihn der Chef in sein Büro. Es war das einzige Mal, daß er einige Worte mit dem Wohltäter wechselte, obwohl er bei öffentlichen Veranstaltungen so oft in seiner Nähe gewesen war, das erste Mal, daß dieser
    Mann, den er täglich in der Villa Radhamés sah, ihm einen Blick gönnte.
    Leutnant Amado García Guerrero hatte schon als Kind, in seiner Familie – vor allem aus dem Mund seines Großvaters, des Generals Hermógenes García –, in der Schule und später als Kadett und Offizier von Trujillos Blick gehört. Ein Blick, dem niemand standhalten konnte, ohne die Augen zu Boden zu senken, eingeschüchtert, vernichtet durch die Kraft, die diese bohrenden Pupillen ausstrahlten, ein Blick, der die geheimsten Gedanken, die verborgenen Wünsche und Gelüste lesen zu können schien, den Leuten ein Gefühl der Nacktheit gab. Amadito lachte über eine derartige Vermessenheit. Der Chef mochte ein großer Staatsmann sein, dessen Vision, Wille und Arbeitsfähigkeit aus der Dominikanischen Republik ein großes Land gemacht hatten. Aber er war nicht Gott. Sein Blick konnte nur der eines Sterblichen sein.
    Kaum hatte er das Amtszimmer betreten, die Hacken zusammengeschlagen und sich mit der martialischsten Stimme gemeldet, die er seiner Kehle entlocken konnte – »Unterleutnant García Guerrero, zu Befehl, Exzellenz!« –, fühlte er sich wie elektrisiert. »Treten Sie vor«, sagte die hohe Stimme des Mannes, der am anderen Ende des Zimmers hinter einem mit rotem Leder gepolsterten Schreibtisch saß und schrieb, ohne den Kopf zu heben. Der junge Mann tat ein paar Schritte und blieb reglos stehen, ohne einen Muskel zu bewegen oder zu denken, die Augen auf das graue, sorgfältig geglättete Haar und die tadellose Kleidung gerichtet – blaues Jackett und blaue Weste, weißes Hemd mit makellosem Kragen und gestärkten Manschetten, silberfarbene Krawatte, von einer Perle gehalten – und auf seine Hände, deren eine ein Blatt Papier festhielt, das die andere mit raschen Schriftzügen in blauer Tinte bedeckte. An der linken konnte er den Ring mit dem schillernden Edelstein sehen, der abergläubischen Stimmen zufolge ein Amulett war, das ihm, als er in jungen Jahren als Angehöriger der Konstablerwache die gavilleros verfolgte, die sich gegen den nordamerikanischen Militärbesatzer erhoben hatten, ein haitianischer Medizinmann mit der Versicherung gegeben hatte, er sei unverwundbar, solange er ihn trage.
    »Eine gute Personalakte, Leutnant«, hörte er ihn sagen. »Vielen Dank, Exzellenz.«
    Der silbrige Kopf bewegte sich, und die großen, starren, glänz- und humorlosen Augen suchten die seinen. »Ich habe nie im Leben Angst gehabt«, gestand der Junge später Salvador. »Bis mich dieser Blick traf, Türke. Es stimmt. Als würde er in meinem Gewissen herumstochern.« Es folgte ein langes Schweigen, während diese Augen seine Uniform, sein Koppelzeug, seine Knöpfe, seine Krawatte, sein Käppi examinierten. Amadito begann zu schwitzen. Er wußte, daß die winzigste Nachlässigkeit in der Kleidung den Chef so sehr aufbrachte, daß er die heftigsten Vorhaltungen ausstoßen konnte. »Sie können diese exzellente Personalakte nicht dadurch beflecken, daß Sie die Schwester eines Kommunisten heiraten. In meiner Regierung tun sich Freund und Feind nicht zusammen.«
    Er sprach sanft, ohne den bohrenden Blick von ihm zu wenden. Amadito dachte, daß die dünne hohe Stimme gleich überkippen würde.
    »Der Bruder von Luisa Gil ist einer der Verschwörer vom
    14. Juni. Wußten Sie das?« »Nein, Exzellenz.«
    »Jetzt wissen Sie es«, sagte er mit einem Räuspern und fügte in unverändertem Ton hinzu: »Es gibt viele Frauen in diesem Land. Suchen Sie sich eine andere.« »Jawohl, Exzellenz.«
    Er sah, wie er eine zustimmende Gebärde machte, mit der er die Unterhaltung für beendet erklärte. »Bitte um Erlaubnis, mich zu entfernen, Exzellenz.« Er schlug die Hacken zusammen und grüßte. Er ging mit martialischem Schritt hinaus, um die Furcht zu verbergen, die ihn erfaßt hatte. Ein Militär gehorchte den Befehlen, vor allem, wenn sie vom Wohltäter und Vater des Neuen Vaterlandes kamen, der seiner Zeit einige Minuten abgerungen hatte, um persönlich mit ihm zu sprechen. Wenn er ihm, einem privilegierten Offizier, diesen Befehl erteilt hatte, dann war es zu seinem eigenen Wohl.

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