Das Fest des Ziegenbocks
Amadito. Im Tageslicht werden dir die Dinge weniger tragisch vorkommen.«
»Es wird genauso sein, Türke. Tag und Nacht werde ich mich anwidern. Schlimmer noch, wenn der Alkohol nicht mehr wirkt.«
Es hatte an diesem Mittag begonnen, im Hauptquartier der Militäradjutanten, gleich neben der Villa Radhamés. Er war gerade aus Boca Chica zurückgekehrt, wohin ihn der Verbindungsmann zwischen dem Chef des Vereinigten Generalstabes und dem Generalissimus Trujillo, Major Roberto Figueroa Carrión, geschickt hatte, um General Ramfis Trujillo auf dem Stützpunkt der Dominikanischen Luftwaffe einen versiegelten Umschlag zu überbringen. Der Leutnant betrat das Büro des Majors, um Bericht über seine Mission zu erstatten, und dieser empfing ihn mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck. Er zeigte ihm die Mappe mit rotem Einband, die auf seinem Schreibtisch lag. »Wetten, du weißt nicht, was das ist?« »Eine Woche Urlaub, damit ich mich an den Strand legen kann, Herr Major?«
»Deine Beförderung zum Oberleutnant, Junge!« freute sich sein Chef, während er ihm die Mappe reichte. »Ich war völlig baff, denn ich war gar nicht an der Reihe.« Salvador rührte sich nicht. »Mir fehlen noch acht Monate, bis ich Beförderung beantragen kann. Ich dachte: Ein Trostpreis, weil man mir die Erlaubnis zur Heirat verweigert hat.«
Salvador, der am Fuß des Bettes saß, verzog das Gesicht voll Unbehagen.
»Hast du das denn nicht gewußt, Amadito? Haben deine Kameraden, deine Vorgesetzten dir nichts vom Treuebeweis erzählt?«
»Ich habe das für Gerede gehalten«, verneinte Amadito mit wütender Überzeugung. »Ich schwöre es dir. Die Leute laufen nicht herum und prahlen damit. Ich wußte es nicht. Ich war völlig ahnungslos.«
War das die Wahrheit, Amadito? Eine Lüge mehr, eine fromme Lüge mehr in dieser Kette von Lügen, aus der das Leben seit seinem Eintritt in die Militärakademie bestanden hatte. Oder seit seiner Geburt, da er fast zur gleichen Zeit wie die Ära Trujillo das Licht der Welt erblickt hatte. Natürlich hättest du wissen, vermuten müssen; natürlich hattest du in der Festung in San Pedro de Macorís und später bei den Militäradjutanten durch Scherze, Angeberei, Wichtigtuerei, Geprahle mitbekommen, erahnt, entdeckt, daß die Privilegierten, die Erwählten, die Offiziere, denen man die Posten mit der größten Verantwortung anvertraute, ihre Treue für Trujillo unter Beweis stellen mußten, bevor sie befördert wurden. Du wußtest ganz genau, daß es das gab. Aber jetzt wußte der Leutnant García Guerrero auch, daß er nie im einzelnen hatte erfahren wollen, worum es sich bei diesem Beweis handelte. Major Figueroa Carrión schüttelte ihm die Hand und wiederholte etwas, das er, weil oft gehört, schließlich geglaubt hatte:
»Du hast eine große Karriere vor dir, Junge.« Er befahl ihm, ihn um acht Uhr abends zu Hause abzuholen: sie würden einen trinken gehen, um seine Beförderung zu feiern, und eine Formalität erledigen. »Komm mit dem Jeep«, verabschiedete ihn der Major. Um acht Uhr fand Amadito sich zu Hause bei seinem Chef ein. Dieser bat ihn nicht herein. Er mußte aus dem Fenster geschaut haben, denn bevor Amadito aus dem Jeep aussteigen konnte, erschien er schon in der Tür. Er schwang sich in das Fahrzeug und befahl dem Leutnant, ohne auf dessen Gruß zu antworten, mit gezwungen natürlicher Stimme: »Zur Cuarenta, Amadito.« »Zum Gefängnis, Herr Major?«
»Ja, zur Cuarenta«, wiederholte Amadito. »Dort wurden wir, du weißt schon von wem, erwartet, Türke.«
»Johnny Abbes«, murmelte Salvador.
»Oberst Abbes García«, korrigierte mit kalter Ironie Amadi
to. »Der Chef des SIM, ja.«
»Bist du sicher, daß du mir das erzählen willst, Amadito?« Der junge Mann spürte die Hand Salvadors auf seinem Knie. »Wirst du mich nicht später hassen, weil du weißt, daß auch ich es weiß?«
Amadito kannte ihn vom Sehen. Er hatte ihn wie einen Schatten durch die Gänge des Regierungspalastes huschen, im Garten der Villa Radhamés aus seinem oder in seinen schwarzen gepanzerten Cadillac steigen, das Büro des Chefs betreten oder es verlassen sehen, etwas, das Johnny Abbes und wahrscheinlich niemand sonst im ganzen Land tun durfte – zu jeder Stunde des Tages und der Nacht im Regierungspalast oder in der Privatresidenz des Wohltäters erscheinen, um sofort empfangen zu werden – , und wie viele seiner Kameraden in Heer, Marine oder Luftwaffe hatte er immer einen heimlichen Schauer von Ekel
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