Das Fest des Ziegenbocks
heute noch, in New York, vor wichtigen Entscheidungen. »Ich dachte daran, aus dem Fenster zu springen. Ich dachte daran, auf die Knie zu gehen, ihn anzuflehen, vor ihm zu weinen. Ich dachte, ich müßte alles mit mir machen lassen, was er wollte, mit zusammengebissenen Zähnen, nur um zu leben und mich eines Tages an Papa rächen zu können. Ich dachte tausend Dinge, während sie dort unten sprachen.«
Tante Adelina fährt in ihrem Schaukelstuhl hoch, öffnet den Mund. Aber sie sagt nichts. Sie ist weiß wie Papier, in den tiefen kleinen Augen schwimmen Tränen. Die Stimmen hörten auf. Es folgte eine kurze Stille; dann Schritte, die die Treppe heraufkamen. Stand ihr Herz still? Im trüben Licht der Bar erschien die Gestalt Trujillos, in olivgrüner Uniform, ohne Jacke und Krawatte. Er hielt ein Glas Cognac in der Hand. Er kam lächelnd auf sie zu. »Guten Abend, meine Schöne«, murmelte er mit einer Verbeugung. Und er streckte ihr seine freie Hand entgegen, aber als Urania ihm in einer automatischen Regung die ihre hinhielt, drückte Trujillo sie nicht, sondern hob sie an seinen Mund und küßte sie: »Willkommen im Mahagonihaus, meine Schöne.«
»Das mit den Augen, das mit den Blicken Trujillos hatte ich oft gehört. Von Papa, von Papas Freunden. Ich begriff sofort, daß es stimmte. Ein Blick, der einen durchbohrte, der bis auf den Grund ging. Er lächelte, sehr galant, aber dieser Blick machte mich leer, ließ mir nur noch die Haut. Ich war nicht mehr ich selbst.«
»Hat Benita dir nichts zu trinken angeboten?« Ohne ihre Hand loszulassen, führte Trujillo sie zum hellsten Teil der Bar; eine Leuchtröhre spendete bläuliches Licht. Er ließ sie auf einem zweisitzigen Sofa Platz nehmen. Er musterte sie, ließ seine Augen langsam von oben nach unten gleiten, vom Kopf bis zu den Füßen, hinauf und hinunter, unverhohlen, als prüfte er die Neuerwerbung einer Kuh oder eines Pferdes auf der Hacienda Fundación. In seinen braunen, starren, inquisitorischen Augen gewahrte sie kein Begehren, keine Erregung, sondern eine Bestandsaufnahme, eine Vermessung ihres Körpers. »Er war enttäuscht. Jetzt weiß ich warum, an jenem Abend wußte ich es nicht. Ich war schlank, ziemlich dünn, und ihm gefielen die Fülligen, mit großzügigen Brüsten und Hüften. Die üppigen Frauen. Ein typisch tropischer Geschmack. Vielleicht dachte er sogar daran, dieses Skelett nach Ciudad Trujillo zurückzuschicken. Wißt ihr, warum er es nicht getan hat? Weil die Vorstellung, das Möschen einer Jungfrau zu zerreißen, die Männer erregt.« Tante Adelina wimmert. Die runzlige kleine Faust erhoben, den Mund halb offen in einem Ausdruck zwischen Entsetzen und Tadel, fleht sie sie an, mit verzerrtem Gesicht. Sie bringt kein Wort hervor.
»Entschuldige die Offenheit, Tante. So hat er sich ausgedrückt, später. Ich zitiere ihn wörtlich, ich schwör es dir. ›Es erregt die Männer, einer Jungfrau das Möschen zu zerreißen. Petán, die Bestie Petán, erregt es noch mehr, es mit dem Finger zu tun.«‹
Das sollte er später sagen, als er die Fasson verloren hatte und sein Mund unzusammenhängende Worte, Seufzer, Flüche, ex-krementelles Feuer erbrach, in dem er seiner Bitterkeit Luft machte. Vorerst legte er noch eine wohleinstudierte Korrektheit an denTag. Er bot ihr nichts von dem an, was er trank, einem so jungen Mädchen konnte der Carlos I die Eingeweide verbrennen. Er würde ihr ein Glas süßen Sherry geben. Er selbst schenkte ihr ein, hob sein Glas und stieß mit ihrem an. Obwohl Urania kaum daran nippte, fühlte sie ein Brennen im Hals. Versuchte sie, zu lächeln? Blieb sie ernst, zeigte sie ihre Angst? »Ich weiß es nicht«, sagt sie, die Schulter zuckend. »Wir saßen auf diesem Sofa, dicht nebeneinander. Mir zitterte das Sherry-Glas in der Hand.«
»Ich fresse keine kleinen Mädchen«, sagte Trujillo lächelnd, während er ihr das Glas aus der Hand nahm und es auf einen kleinen Tisch stellte. »Bist du immer so still
oder nur jetzt, meine Schöne?«
»Er sagte ›meine Schöne‹ zu mir, das hatte auch Manuel Alfonso zu mir gesagt. Nicht Urania, Uranita, Mädchen. Meine Schöne. Es war ein Spielchen der beiden.« »Tanzt du gern? Bestimmt, wie alle Mädchen in deinem Alter«, sagte Trujillo. »Ich tanze sehr gern. Ich bin ein guter Tänzer, auch wenn ich keine Zeit zum Tanzen habe. Komm, laß uns tanzen.«
Er stand auf, und Urania tat es ihm nach. Sie fühlte seinen kräftigen Körper, seinen leicht gewölbten Bauch, der
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