Das Fest des Ziegenbocks
Uranita.« »Und du? Und du?« ruft ihre Nichte Marianita mit ihrer dünnen Stimme aus. »Was hast du gedacht, Tante?« »An den Chauffeur des Wagens, an Luis Rodríguez. Nur an ihn.«
Wie hast du dich geschämt vor diesem Chauffeur mit Mütze, der Zeuge der heuchlerischen Worte des Botschafters war. Er hatte das Autoradio angeschaltet, sie brachten zwei italienische Modeschlager – Vòlare; Ciao, Ciao bambina – , aber sie war sicher, daß ihm kein Wort von dem Gefasel entging, mit dem Manuel Alfonso sie einzuwickeln versuchte, damit sie sich froh und glücklich fühlte. Ein Fest Trujillos ganz für sie allein! »Hast du an deinen Papa gedacht?« rutscht es Manolita heraus. »Daß mein Onkel Agustín dich, daß er…?« Sie verstummt, denn sie weiß nicht, wie sie den Satz zu Ende bringen soll. Tante Adelina wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Das Gesicht der alten Frau ist eingefallen und läßt tiefe Niedergeschlagenheit erkennen. »Es war Manuel Alfonso, der an Papa dachte«, sagt Urania. »War ich denn auch eine gute Tochter? Wollte ich dem Senator Agustín Cabral helfen?« Er tat es mit dieser Subtilität, die er in seinen Jahren als Diplomat mit schwierigen Missionen erworben hatte. War dies
nicht auch eine großartige Gelegenheit für Urania, seinem Freund Cerebrito aus der Falle herauszuhelfen, die ihm die ewigen Neider gestellt hatten? Der Generalissimus konnte ein harter, unerbitdicher Mann sein, wenn es um die Interessen des Landes ging. Aber im Grunde war er ein Romantiker; vor einem anmutigen Mädchen schmolz seine Härte wie ein Eiswürfel in der Sonne. Wenn sie, intelligent wie sie war, wollte, daß der Generalissimus Agustín half, ihm seine Position, sein Ansehen, seine Macht, seine Ämter zurückgab, dann würde sie es schaffen. Sie brauchte nur Trujillos Herz zu erreichen, ein Herz, das außerstande war, sich den Bitten der Schönheit zu verschließen.
»Er gab mir auch ein paar Ratschläge«, sagt Urania. »Was ich nicht tun sollte, weil der Chef es nicht mochte. Ihm gefiel es, wenn die Mädchen zärtlich waren, aber nicht, daß sie ihre Bewunderung, ihre Liebe übertrieben. Ich fragte mich: Und das erzählt er mir?«
Sie hatten San Cristóbal erreicht, eine Stadt, die berühmt war, weil der Chef in ihr das Licht der Welt erblickt hatte, in einem bescheidenen kleinen Haus neben der großen Kirche, die Trujillo errichten ließ und in die der Senator Cabral einmal Uranita zur Besichtigung geführt hatte, um ihr die biblischen Fresken zu erklären, die Vela Zaneti auf die Wände gemalt hatte, ein exilierter spanischer Künsder, dem der Chefin seiner Großmut die Türen der Dominikanischen Republik geöffnet hatte. Bei jenem Ausflug nach San Cristóbal hatte der Senator Cabral ihr auch die Flaschen- und die Waffenfabrik gezeigt und war mit ihr das ganze Tal abgefahren, durch das der Nigua floß. Jetzt schickte ihr Vater sie nach San Cristóbal, damit sie den Chef bat, er solle ihm verzeihen, seine Konten freigeben, ihn wieder als Senatspräsidenten einsetzen. »Vom Mahagonihaus gibt es einen wunderbaren Blick auf das Tal, den Nigua-Fluß, die Pferde und die Ställe der Hacienda Fundación«, erläuterte Manuel Alfonso. Der Wagen erklomm jetzt, nachdem er einen ersten Wachposten passiert hatte, die Anhöhe, auf deren höchstem Punkt
mit dem edlen Holz der Mahagonibäume, die auf der Insel auszusterben begannen – das Haus errichtet worden war, in das sich der Generalissimus in absoluter Abgeschiedenheit zwei Tage in der Woche zu geheimen Verabredungen, schmutzigen Arbeiten oder riskanten Geschäften zurückzog.
»Lange Zeit habe ich vom Mahagonihaus nur diesen Teppich in Erinnerung behalten. Er füllte den ganzen Raum aus und war mit einem riesigen Landeswappen bestickt, in all seinen Farben. Später erinnerte ich mich an mehr. Im Schlafzimmer ein Glasschrank voller Uniformen jeder Art und darüber eine Reihe von Mützen und Käppis. Sogar ein napoleonischer Zweispitz.«
Sie lacht nicht. Sie wirkt ernst, etwas Hohles liegt in ihren Augen und in ihrer Stimme. Auch Tante Adelina, Manolita, Lucinda lachen nicht, schon gar nicht Marianita, die gerade aus dem Badezimmer zurückgekommen ist, wo sie sich übergeben hat. (Sie hat ihr Würgen gehört.) Der Papagei schläft noch immer. Stille hat sich über Santo Domingo herabgesenkt: kein Hupen, kein Motor, kein Radio, kein Lachen eines Betrunkenen, kein Gebell von Straßenhunden.
»Mein Name ist Benita Sepúlveda, kommen Sie herein«, sagte
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