Das Fest des Ziegenbocks
die Frau zu ihr, am Fuß der Holztreppe. Eine Frau in vorgerücktem Alter, gleichmütig und doch mit einem Anflug von Mütterlichkeit in ihrer Mimik und Gestik; sie trug eine Uniform und eine Haube auf dem Kopf. »Kommen Sie hier entlang.«
»Es war die Hausbesorgerin«, sagt Urania. »Sie war damit beauftragt, jeden Tag Blumen in alle Räume zu stellen. Manuel Alfonso blieb zurück und unterhielt sich mit dem Offizier am Eingang. Ich habe ihn nie wiedergesehen.« Benita Sepúlveda wies mit einer rundlichen Hand auf das Dunkel hinter den Fenstern, die mit Metallgittern geschützt waren, und erklärte ihr, daß »das« ein Eichengehölz sei und daß es im Obstgarten reichlich Mangos und Acajoubäume gebe; aber das Schönste am Ort seien die Mandel- und Mahagonibäume, die das Haus umstanden und deren wohlriechende
Zweige sich in alle Winkel drängten. Roch sie? Roch sie? Sie würde schon Gelegenheit haben, die Landschaft zu sehen – den Fluß, das Tal, die Zuckerfabrik, die Ställe der Hacienda Fundación – in der Frühe, wenn die Sonne aufginge. Wünschte sie ein dominikanisches Frühstück mit zerdrückter Banane, Spiegeleiern, Wurst oder Speck und Obstsaft? Oder, wie der Generalissimus, nur Kaffee? »Von Benita Sepúlveda erfuhr ich, daß ich die Nacht dort verbringen würde, daß ich mit Seiner Exzellenz schlafen würde. Was für eine Ehre!«
Mit der Ungezwungenheit, die aus einer langen Praxis erwächst, hielt die Hausbesorgerin sie auf dem ersten Treppenabsatz zurück und ließ sie in einen weiten Raum mit gedämpftem Licht treten. Es war eine Bar. Es gab eine Reihe von Holzstühlen, die mit der Rückenlehne zur Wand standen und in der Mitte eine geräumige Tanzfläche freiließen; eine riesige Musikbox und eine Theke mit Regalen voller Flaschen, Gläser und Kristallkelche. Aber Urania hatte nur Augen für den riesigen grauen Teppich mit dem dominikanischen Wappen, der von einem Ende des großen Raums bis zum anderen reichte. Nur flüchtig sah sie die an den Wänden hängenden Porträts und Bilder des Generalissimus – stehend und zu Pferde, in Uniform und in Zivil, am Schreibtisch sitzend oder aufrecht auf einer Tribüne und eingewickelt in die Präsidentenschärpe – oder die silbernen Trophäen und die Auszeichnungen, die Milchkühe und Rassepferde der Hacienda Fundación gewonnen hatten, zwischen Plastikaschenbechern und billigen Nippesfiguren, die noch das Etikett des New Yorker Kaufhauses Macy’s trugen und Tische, Ablagen und Borde zierten in diesem Tempel des Kitsches, in dem Benita Sepúlveda sie zurückließ, nachdem sie sie gefragt hatte, ob sie wirklich nicht ein Gläschen Likör wollte. »Das Wort Kitsch gab es damals bei uns noch nicht, glaube ich«, erklärt sie, als hätten ihre Tante oder ihre Cousinen irgendeine Bemerkung gemacht. »Jahre später, wenn ich es hörte oder las und begriff, was für einen extrem schlechten Geschmack, was für eine eide Affektiertheit es ausdrückte, kam mir das Mahagonihaus in den Sinn. Ein Tempel des Kitsches.«
Und mit ihrem rosafarbenen Organdykleidchen wie für eine Einführung in die Gesellschaft, ihrem Silberkettchen mit dem Smaragd und den vergoldeten Ohrringen, die ihrer Mama gehört hatten und die Papa ihr ausnahmsweise auf dem Fest Trujillos zu tragen erlaubt hatte, war auch sie in jener warmen Mainacht einTeil des Kitsches. Ihre Ungläubigkeit machte alles unwirklich. Ihr schien, daß nicht sie das Mädchen war, das in diesem überladenen Raum auf einem Balken des vaterländischen Wappens stand. Der Senator Agustín Cabral schickte sie als lebende Gabe dem Wohltäter und Vater des Neuen Vaterlandes? Ja, sie hatte nicht den geringsten Zweifel, ihr Vater hatte das zusammen mit Manuel Alfonso eingefädelt. Und doch wollte sie noch immer zweifeln.
»Irgendwo, aber nicht in der Bar, wurde eine Schallplatte von Lucho Gatica aufgelegt. Besame, besame mucho, como si fuera esta noche la ultima vez.« »Ich erinnere mich.« Manolita, verlegen wegen ihres Einwurfs, macht eine entschuldigende Geste. »Sie spielten Besame mucho den ganzen Tag, im Radio und bei den Partys.«
Sie stand am Fenster, durch das eine warme Brise und ein schwerer Geruch nach Erde, Krautern, Bäumen zu ihr drang, und hörte Stimmen. Die malträtierte von Manuel Alfonso. Die andere, schrill, überkippend, konnte nur Trujillo gehören. Sie spürte ein Kitzeln im Nacken und an den Handgelenken, wo der Arzt ihr den Puls fühlte, ein Brennen, das sie immer vor Prüfungen befiel und
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