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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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geschlungenen Gefangenenbeutel bei mir. Tsorl sah mir nach, als ich in die Bäume schlüpfte, aber ich drehte mich nur einmal um.
    Ich bin keine große Jägerin; meine besten Erfolge sind zufällig gewesen wie der Landsonner auf der Steintreppe. Ich hoffte, noch einen Sonner oder vielleicht einen Buschhirsch oder sogar einen Brotfruchtbaum zu finden. Das Töten eines Weljins wäre nicht nur schwierig, sondern auch abstoßend gewesen – sie haben süße Stimmen wie Kinder und schwingen sich an ihren Schwänzen von Baum zu Baum. Ich folgte möglichst lautlos dem Straßenrand und hielt die Augen offen. Ich erblickte Vögel, auch einen Stelzvogel, bei dem ich mein Glück hätte versuchen können, aber der Wald war zu dicht für Sonner.
    Ich bog ab und ging zum Fuße des kleinen kegelrunden Feuerbergs von Tsabeggan. Wenn ich mich bückte, konnte ich einen Blick von seinem Gipfel und die steilen Felsen durch Lücken in dem Blätterdach erhaschen. Die Bäume und Ranken waren seltsam: Rotholzbäume, aber mit weniger Streifen auf ihren Stämmen und Blättern, Laub jeglicher Farbe vom weißlichen Grün angefangen bis zum tiefsten Blaugrün, das direkt aus dem dichten Waldboden emporsproß, Ranken, die in ihrem eigenen Licht in den dunklen Winkeln an ihren glitschigen Stielen aufglühten.
    Der große und braune Stelzvogel brach fast zu meinen Füßen aus seinem Versteck hervor und rannte davon, wobei er leise quäkte. Ich schaute in das Unterholz zurück, aus dem er geflüchtet war; mein Glück hatte mich nicht verlassen – da war sein Nest. An dem warmen fedrigen Ort erblickte ich sieben gelbe braun-fleckige Eier. Ich stahl davon vier, wickelte sie in Blätter ein und steckte sie in meinen Gefangenenbeutel.
    Ich setzte meinen Weg in eine Art Lichtung fort, auf der ein Baum umgestürzt war und das Unterholz dabei umgerissen hatte.
    Ich schaute zu der Straße zurück und vermochte gerade noch einen helleren Fleck zwischen den Bäumen auszumachen. Der Sonnenschein war heiß, und es gab dort Felsen; das war die richtige Stelle für Sonner. Ich spähte hin, und wahrhaftig lag ein kräuselhäutiges Geschöpf unbeweglich auf einem Felsen und saugte die Wärme ein; ich stach auf es ein, verfehlte es aber; es glitt in eine unglaublich tiefe Felsspalte und ließ mich fluchend zurück.
    Die Geräusche des Waldes kehrten zurück, als das Geräusch meiner hochkletternden Schritte erstarb, und ein anderes Geräusch kehrte ebenfalls zurück. Es erklang schon, wie mir bewußt wurde, eine ganze Weile, und ich hatte nicht weiter darauf geachtet. Es war ein mir gut bekanntes Geräusch: Hämmerschläge auf einen Felsen.
    Ich lauschte lange, aber das Geräusch war unverkennbar; ich begann, mir den Weg dorthin zu bahnen. Der Wald war unverändert, es gab darin keine Felsen, plötzlich fiel ein langer Sonnenstrahl auf die Überbleibsel einer alten Mauer, einer Tsatroy-Mauer, und im Sonnenschein hieb ein Moruianerkind mit strähnigem blondem Haar auf die Mauer ein.
    Ich war vierzig Schritte davon entfernt; ein Weljinpaar über mir kreischte, und das Inselkind warf sein Haar zurück und erblickte mich. Es rannte auf die Straße los, ein kleines dünnes Wesen in irgendeiner braunen Tunika.
    „Warte!“
    Ich rief ihm hinterher und lachte und rannte auch los. Das Kind lief nicht sehr schnell; es handelte sich nur um ein paar Schritte, bis ich es erhaschen konnte.
    „Warte, Kind. Fürchte dich nicht!“
    Wir rannten beide weiter, und ich hielt mich etwas zurück; wir sprangen gleichzeitig auf die an dieser Stelle noch breitere Straße. Das Kind stolperte und fiel mir fast zu Füßen.
    „Da hast du es“, sagte ich, „du bist gestürzt! Ich tue dir nichts, Inselkind …“
    Ich ergriff seinen dünnen Arm, und der Stoff, der ihn bedeckte, war erstaunlich dick und dichtgewebt. Das Kind drehte den Kopf herum und versuchte sich in verkrampfter Angst von mir loszureißen. Die Angst richtete sich gegen mich und wurde zu meiner eigenen Angst. Denn es war kein Kind, kein Insulaner. Es war ein dünnes schlankes Wesen mit einem runden blassen Gesicht unter dem kindlichen Haarschopf, und seine Augen, ja, seine kleinen runden starrenden Augen waren himmelblau …
    Ich ließ den dünnen Arm los und taumelte zurück. Wir starrten einander an, wobei jeder versuchte, seiner Angst Herr zu werden. Ich glaube, daß wir wußten, daß keiner dem anderen etwas zuleide tun wollte, aber die Anwesenheit irgendeines absolut Fremden verursachte unsere absolute Angst.
    Das

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