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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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Spitzenspinner, große braune, die auf einem Jahrmarkt am Datse wohl einiges eingebracht hätten. Auf der Terrasse neben dem Kai stand ein anderes, noch fremderes Wesen als das erste – nämlich ich selbst, Yolo Horn, das gelassen das Lager betrat.
    Das zweite fremde Wesen war größer als das erste, so groß wie ich, schlank, ebenfalls mit halblanger Hose, Stiefeln und einer Tunika mit viereckigen Taschen. Sein Gesicht war länger: Moruianer betrachten Lisa als „schönen“ Menschen, aber nur, weil ihr Gesicht fast dem eines Moruianers gleicht. In diesem Augenblick bemerkte ich nur die Farbe ihrer Haut: eine warme seidige Farbe zwischen Dunkelbraun und Schwarz.
    Ich entdeckte noch eine Terrasse im Gras, wo ich auf kein Netz treten würde, und stellte mich einfach darauf und schaute umher, so weit ich blicken konnte. Mein fremdes Wesen lief, als es ihre Gefährtin sah, weiter und stellte sich, wie ich erkannte, schutzsuchend neben sie, denn seine Angst vor mir war noch nicht gewichen. Die beiden verbeugten sich vor mir und tuschelten nervös. Sie vollführten die gleichen Gesten – Hand auf die Brust und ein zweiklängiges Wort.
    „Karin!“
    „Lisa!“
    Irgendein Knall erfolgte in dem blauen Zelt. Es klang in meinen Ohren wie ein wildes Tier, wie ein Bergwolf oder sogar wie ein kleiner Seesonner. Ich war auf der Hut, zitternd, das Geräusch wurde wiederholt, wurde lauter … es war eine Stimme, eine fürchterliche menschliche Stimme! Aus dem blauen Zelt stürzte ein breites, stämmiges, behaartes, rosagesichtiges fremdes Wesen, das greulichen Lärm machte.
    Die beiden anderen riefen gemeinsam: „Sam!“
    Der Lärmende bremste ab, zog den Hut, verbeugte sich vor mir und gab einen weiteren völlig verwirrten Laut von sich. Dann schlug er sich auf seine behaarte Brust und sagte: „Sam!“ Da begriff ich es. Sam. Karin. Lisa. Die Fremden hatten als allererstes an ihre Namen gedacht.
    Ich kam mir töricht und verlegen vor, meisterte aber meine Angst. Ich legte die Hand auf meine eigene Brust und sagte, so laut ich konnte: „Yolo Horn!“
    Sie waren sehr erfreut. Wir lächelten uns zu und versuchten, den Namen jedes anderen zu sagen. Lisa wandte sich von ihrem dünnbeinigen Seidenbalken ab und vollzog irgendein Ritual an einer braunen Truhe, die hüfthoch auf der Terrasse stand. Flache Tabletts kamen aus der Truhe, und ich erkannte, daß die Fremden eine Mahlzeit vorbereiteten. Ich saß höflich auf meiner eigenen Terrasse – einem Viereck aus grellblauem Stoff wie der eines Zeltes – mitten in ihrem begrasten Garten und starrte hin.
    So fing die Zeit im Lager an, und sie wurde bereits auf einem Film in ihrem Seidenbalken, der Kamera festgehalten. Ich habe diesen Film oft mit dem Tonband der Menschenstimmen und einigen Lauten von mir selbst gesehen. Karin-Ru gestand mir später, daß sie nicht sicher waren, ob die Kamera mich einschüchterte; es hatte Stämme von Waldbewohnern bei ihnen zuhause gegeben, die befürchteten, daß die Kamera ihre Seelen stehlen würde. Solche Furcht kannte ich nicht, aber es war sehr sonderbar und letztlich etwas betrübend, den Ablauf der Bilder zu sehen.
    Da wird der klare Inseltag, der fabelhafte Lagerplatz, die Straße gezeigt, die aus dem finsteren Wald führt. Karin kommt die Straße entlang, verkrampft, verängstigt; ihr folgte langsam, was auch ihre Wachsamkeit und Angst verrät, Yolo Horn. Groß, hager, muskulös, von der Sonne gefärbt … eine Nahaufnahme des Gesichts, auf dem die Kamera ruhen bleibt und dann davon abschwenkt, als erschrecke sie darüber, was sie gesehen hat. Wenn die Kamerabilder zeigen, wie der Neuankömmling sich den Weg über die Pfade bahnt, erklingt ein Stimmengewirr im Hintergrund: Karin flüstert Lisa etwas zu.
    „Kriegst du ihn … ganz friedlich, dessen bin ich sicher … ach du lieber Himmel, ich zittere am ganzen Leib … hoffentlich habe ich richtig gehandelt …“
    Lisa erwiderte: „Gewiß menschenähnlich … Aber schau dir mal seine Augen an? Glaubst du wirklich, daß er männlich ist?“
    „Das glaube ich, aber noch sehr jung … ein Knabe … Lächle … er ist sehr nett.“
    „Er ist kultiviert.“
    „Meinst du? Aus dem Wald? Wo ist Sam?“
    Dann eine Nahaufnahme von Karin, die ihren Namen nennt, und von Yolo, die sich verbeugt. Stimmen beider Mädchen im Hintergrund, die ihre Namen nennen, übertönt von dem gedämpften Laut von Sam in dem Zelt. Die Kamera fängt Sam kaum ein, denn sie bleibt auf den Neuankömmling gerichtet,

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