Das Feuer der Wüste
Rest des Zimmers war aufgeräumt, kein Stäubchen, keine Papiere, nicht einmal ein abgebrochener Bleistift lagen herum.
Ruth setzte sich hinter den großen Schreibtisch – angeblich ein Erbstück ihres Großvaters –, öffnete die oberste Schublade und holte behutsam den Ordner mit den Kontoauszügen hervor. Mit klopfendem Herzen blätterte sie ein ganzes Jahr zurück, überprüfte, ob die Raten für den Kredit pünktlich bezahlt worden waren. Tatsächlich hatte ihre Mutter an jedem Monatsersten fünfhundert englische Pfund auf das Konto der Farmersbank in Windhoek eingezahlt. Aktuell waren noch rund sechshundert Pfund auf dem Farmkonto und dreihundertzwanzig Pfund auf Roses Privatkonto. Das war nicht viel, aber normal, denn Farmarbeit war Saisonarbeit. Bald würden die Schafe geschoren und die Wolle verkauft werden, sodass wieder Geld in die Kasse fließen würde. Wieso also sollte Salden’s Hill vor der Pleite stehen?
Ratlos schob Ruth den Ordner zur Seite, stützte den Kopf in die Hände und dachte nach. Hatten sie in diesem Jahr größere Anschaffungen getätigt? Gut, der Generator war überholt worden, und der Fahrzeugschuppen hatte ein neues Dach bekommen. Aber dafür war Geld da gewesen. Ruth schüttelte verständnislos den Kopf.
Mit schlechtem Gewissen öffnete sie die Schublade, in der Rose ihre privaten Sachen aufbewahrte. Dass sie das Bündel Briefe herausnahm – zumeist Rechnungen und Bestellungen, wie sie beim Durchblättern entdeckte –, kam einem Sakrileg gleich. Jeder im Haus wusste, dass diese Schublade tabu war. Ruth suchte dennoch weiter und stieß ganz unten auf eine dünne Immobilienzeitschrift. Verwundert betrachtete sie die rot angestrichenen und kommentierten Inserate: Wohnungen in Swakopmund. »Zu teuer«, hatte ihre Mutter unter der ersten notiert, »schon vergeben« unter der zweiten und unter einer weiteren »zum Monatsende noch einmal anrufen«. Ruth traute ihren Augen nicht. Wollte ihre Mutter ernsthaft nach Swakopmund ziehen? Wollte sie die Farm wirklich verkaufen? Hatte Tom das gemeint, als er ihr das Angebot für die Green-Hill-Weiden gemacht hatte?
Ratlos lehnte sich Ruth im Sessel zurück. Die Wanduhr schlug zwölf Mal, Mitternacht. Es war spät, und ihr würden nur wenige Stunden Schlaf bleiben. Sollte sie nicht lieber mit ihrer Mutter sprechen, als hier Detektivin zu spielen? Ihr Blick fiel auf den geöffneten Kalender: »Kaffee mit Mrs. Miller«, »Inspektion Dodge und Traktor«, »Zahnarzt«, »Friseur« und weitere Notizen, die sie nicht interessierten. Sie blätterte weiter, bis ihr in der letzten Dezemberwoche eine Eintragung auffiel. »Kreditablauf, Summe fällig!«
Ruth stutzte. Was hatte das zu bedeuten? Der einzige Kredit, der die Farm belastete, lief seit drei Jahren und hatte nie Probleme bereitet. Gerade eben hatte sie sich doch noch mit eigenen Augen davon überzeugt!
Sie erinnerte sich noch genau an den Frühsommer des Schicksalsjahres 1956. Sie hatte nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters die Leitung der Farm übernommen, den Verwalter in den Ruhestand geschickt und das Zuchtprogramm und die Nutzung der Weiden auf eine neue Methode umgestellt. Alle Nachbarn sagten Salden’s Hill eine goldene Zukunft voraus. Die Schafe gediehen prächtig, die Wolle war von bester Qualität, der Zukauf von Futter durch die Weidenrotation um die Hälfte gesunken. Ruth war glücklich gewesen, obwohl ihr Vater gestorben war. Glücklich und hoffnungsvoll wie nie zuvor in ihrem Leben. Voller Pläne und voller Elan sprang sie jeden Morgen aus dem Bett. Sie wollte die Welt aus den Angeln heben und neben den Karakulschafen und den Rindern auch Ziegen züchten.
Sie wollte auf Salden’s Hill eine eigene Käserei aufbauen, dazu neue Ställe, neue Maschinen und einen neuen Generator mit doppelter Leistung anschaffen. Innerhalb von zehn Jahren wollte Ruth Salden’s Hill zur größten und prächtigsten Farm im ganzen mittleren Namibia machen. Sie plante, den Frauen der schwarzen Farmarbeiter die Käseherstellung beizubringen und ihre Produkte erst nach Gobabis, dann nach Windhoek und später im ganzen Land zu verkaufen. Sie hatte sich auch schon gemeinsam mit Mama Elo und Mama Isa neue Käserezepte ausgedacht und diese ausprobiert: Ziegenfrischkäse mit Minze zum Beispiel oder Schafskäse in Kräuterkruste, dazu mit Frischkäse gefüllte Feigen und eingelegten Schafskäse in Honig-Nuss-Sauce, ein Rezept, das sie in einer deutschen Zeitschrift gesehen hatte.
Ruth hatte davon
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