Das Feuer Kabals
das Portal. Flammen schossen gierig daraus hervor und ein Aufbrüllen der Feuersbrunst ließ die Priesterinnen aufschrecken. Ihre Finger woben wie von allein das Muster des Orakels von Khuranc und sie flog mit einem Satz in den Tunnel. Cendrine riss an den Energiesträngen und jagte mit blitzartiger Geschwindigkeit durch die hundert Schritt lange Feuerröhre, die sich um sie wand, um sie in einem Atemzug nach Khuranc zu werfen. Eine Entfernung, für dessen Überwindung ein Reiter Wochen bräuchte. Ein Augenzwinkern später war sie hindurch und sprang auf der anderen Seite zu Boden. Ohne zu zögern verließ sie das Podest, auf dem das Portal in Form eines bronzenen Dreiecks aufragte. Die kleine Halle war wie üblich leer und in Finsternis gehüllt. Einige blaue Flammen brannten in den Feuerschalen, die den verstaubten Weg hinaus flankierten. Cendrine ließ das Portal verschwinden und rief mit einem Gedankenbefehl ihr Schwert herbei. Eine Flamme schoss tosend zwei Schritt weit aus ihrem rechten Unterarm. In ihrer Hand erschien das schlichte Heft mit dem Pentagramm im Knauf. Das Symbol der fünf Elemente war auch in die weißen Zeichnungen ihres Gesichts verwoben und auf ihrem Brustpanzer eingelassen. Die Sengende Klinge entsprang in wilder Glut dem metallenen Heft und formte die Klinge eines gewaltigen Bihänders. Cendrine gestikulierte mit der anderen Hand und wurde in Flammen gehüllt. Flüssiges Magma legte sich um ihren Körper. Die Formen verfestigten sich und wurden präziser, als sich allmählich ihre Rüstung abzeichnete. Das glühende Metall legte sich wie ein knappes Mieder um Cendrines Oberkörper und über ihren Hüfte. Die weißen Zeichnungen auf ihrer schwarzen Haut verschwanden teilweise darunter. Ihr linkes Handgelenk wurde von einer brennenden Lache bedeckt, die ihren halben Unterarm hinauf flutete. Ströme rot leuchtenden Stahls wanden sich um ihre Oberschenkel und Waden und bildeten das verflochtene Muster ihrer Beinschienen. In zwei Atemzügen erstarrte das flüssige Metall an ihrem Körper und nahm einen polierten Glanz an. Cendrine hob die Sengende Klinge über ihre Schulter und ließ sie in die Halterung auf dem Rückenteil ihrer Rüstung einschnappen, als sie den Durchgang passierte. Am Tor des Inneren Sanctums im Idrak-Tempel würde man Cendrines Rüstung und die Sengende Klinge vermissen. Doch die älteren Schwestern kannten dieses Phänomen und würden die Adeptinnen in einem solchen Fall beruhigen.
Außerhalb der Portalhalle war es dunkel. Obols Sichel war schmal und das Licht der Sterne war nicht stark genug, um die teerschwarzen Schatten unter den Zypressen zu erreichen. Cendrine sog die Abendluft ein, die noch etwas von der Wärme des Tages mit sich führte. Eine Brise von der nahegelegenen Küste trug den Geruch der salzigen Gischt hinüber und vermischte sich mit dem süßen Duft der Zypressenbäume. Fledermäuse kreisten über dem sandigen Weg, der sich, von einer ehemals weiß verputzten Mauer gesäumt, hinab ans Ufer schlängelte. Cendrine folgte ihm für einige Minuten, ließ die Abzweigung, die sie zur Stadtruine von Fallaeel brachte links liegen, und gelangte an den felsigen schmalen Sandstrand. Ein kleines Fischerboot mit einem Loch im Rumpf lag umgedreht auf dem Sand, vor langer Zeit zurückgelassen. Muscheln knirschten unter Cendrines nackten Füßen. Sie schaltete den Schmerz ab und wusste, dass ihr nichts Schaden zufügen konnte. Sehnsüchtig sah sie auf das Wasser und widerstand der Versuchung, durch die Wellen zu schlendern. Es war Eile geboten.
Der Strand fand ein jähes Ende vor einer Felswand. Sie stieg die Stufen hinauf, die verwittert und alt vor Urzeiten in den Stein getrieben worden waren. Sie kletterte einige Minuten bis auf eine Höhe von fünfzig Schritt und erreichte das Plateau mit dem Totenhaus. Ewiges Feuer brannte blau in einer Steinschale von fünf Schritt Durchmesser und erleuchtete das hell verputzte Gebäude, dessen Außenhaut rissig und von der Witterung zernarbt war. Seefahrer nutzten das Totenfeuer als Orientierungspunkt, doch das war nicht der Zweck, zu dem es entzündet worden war. In den Fenstern und Türen, die das fahle Licht der blauen Flammen nicht erhellen konnten, lagen tiefe Schatten. Sie starrten wie böse Augen hinaus aufs Meer.
Cendrine fand den schmalen Pfad hinter dem Gebäude. Er war kaum mehr als ein gesimsartiger Vorsprung im Felsen und führte in luftiger Höhe an der Steilküste entlang. Ein bronzenes Geländer, angefressen vom
Weitere Kostenlose Bücher