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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mir ausführlicher jene Feuerkugeln zu erklären, denn ich hätte sie so kurz gesehen, daß ich nicht sicher sei, ob ich sie in allen Details beschreiben könne.
    Der Ausdruck »Sehen«, so betonte er, sei lediglich eine euphemistische Umschreibung für die Bewegung des Montagepunktes. Hätte ich nun den meinigen nur einen Bruchteil weiter nach links bewegt, so hätte ich ein deutlicheres Bild der Feuerkugeln wahrgenommen - ein Bild, von dem ich dann sagen könnte, daß ich mich daran erinnere.
    Ich versuchte, mir ein deutliches Bild ins Gedächtnis zu rufen, aber es gelang mir nicht, darum schilderte ich ihm das wenige, woran ich mich erinnerte.
    Er hörte aufmerksam zu und bat mich dann, mich zu erinnern, ob es Feuerkugeln oder -kreise gewesen wären. Ich mußte ihm sagen, daß ich mich daran nicht erinnern könne. Diese Feuerkugeln, erklärte er, seien von entscheidender Bedeutung für den Menschen. Sie seien Ausdruck einer Kraft, die sich auf alle Einzelheiten von Leben und Tod auswirke. Die neuen Seher hätten sie als die rollende Kraft bezeichnet. Ich bat ihn, mir zu erklären, was er unter allen Einzelheiten von Leben und Tod verstünde.
    »Die rollende Kraft ist das Mittel, durch das der Adler Leben und Bewußtheit als Leihgabe verteilt«, sagte er. Aber sie ist auch die Kraft, die sozusagen die Leihgebühr kassiert. Sie läßt alle Lebewesen sterben. Was du heute gesehen hast, nannten die alten Seher den Schwenker.«
    Diesen bezeichneten die alten Seher, wie er sagte, als eine ewige Folge irisierender Ringe, oder Feuerkugeln, die unaufhörlich den Lebewesen entgegenrollten. Die organischen Wesen stellten sich der rollenden Kraft frontal entgegen, bis sich diese Kraft eines Tages als zu mächtig für sie erweise.
    Dann endlich brächen die Geschöpfe unter ihr zusammen. Die alten Seher, sagte er, seien fasziniert gewesen, als sie sahen, wie der Schwenker die Geschöpfe vor den Schnabel des Adlers schwenkte, auf daß sie verzehrt würden. Aus diesem Grund hätten sie diese Kraft auch den Schwenker genannt.
    »Du sagst, es ist ein faszinierender Anblick. Hast du selbst gesehen, wie die Kraft menschliche Wesen rollt?« fragte ich. »Gewiß habe ich es gesehen«, erwiderte er. Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Du und ich, wir haben es erst vor kurzer Zeit gesehen - in Mexiko-Stadt.«
    Seine Behauptung war so unwahrscheinlich, daß ich mich verpflichtet fühlte, ihm zu sagen, diesmal müsse er sich irren. Er lachte und erinnerte mich daran, wie wir damals, während wir auf einer Bank im Alameda-Park von Mexiko-Stadt saßen, das Rollen eines Mannes beobachteten. Er behauptete, ich hätte das Ereignis sowohl in meinem alltäglichen Gedächtnis, wie auch in den Emanationen meiner linken Seite registriert. Während Don Juan zu mir sprach, hatte ich das Gefühl, als würde irgend etwas in mir allmählich immer deutlicher, und dann sah ich die ganze Szene im Park mit unheimlicher Klarheit vor mir. Der Mann lag im Gras, neben ihm standen drei Polizisten und hielten die Zuschauer fern. Ich erinnerte mich genau daran, wie Don Juan mich auf den Rücken geschlagen hatte, und ich auf eine andere Stufe der Bewußtheit übergewechselt war. Dann hatte ich gesehen. Mein Sehen war noch unvollkommen gewesen. Es war mir nicht gelungen, den Anblick der Alltagswelt beiseite zu schieben. Was mir blieb, war ein Gebilde aus Fasern in den prachtvollsten Farben, das die Häuser und den Straßenverkehr überlagerte. In Wirklichkeit waren diese Fasern von oben kommende farbige Lichtbahnen. Sie hatten ein inneres Leben; sie strahlten und barsten vor Energie.
    Als ich den Sterbenden anschaute, sah ich, wovon Don Juan gesprochen hatte. Irgend etwas, Feuerkreise oder irisierende Schwenkräder, rollte von überall heran, wohin ich auch meine Augen richtete. Die Kreise rollten den Leuten entgegen, auch Don Juan und mir, ich spürte sie gegen meinen Bauch prallen, und mir wurde schlecht.
    Don Juan befahl mir, meine Augen auf den sterbenden Mann zu richten. Irgendwann sah ich, wie er sich zusammenrollte, ähnlich wie eine Kellerassel sich zusammenrollt, wenn man sie berührt. Die brennenden Kreise stießen ihn beiseite, als wollten sie ihn aus dem Weg räumen, ihn aus ihrer unabänderlichen, majestätischen Bahn schieben. Es war ein unangenehmes Gefühl gewesen. Die Feuerkreise hatten mir keine angst gemacht. Sie wirkten nicht ehrfurchtgebietend, aber auch nicht unheilverkündend. Ich war weder deprimiert noch bedrückt. Es war eher so, daß

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