Das Feuer von Innen
Zweifeln. Don Juan machte sich über mich lustig. Er nannte mich einen unbekümmerten Frömmler und meinte, ich hätte das Zeug zum Priester. Nun könnte ich sogar als spiritueller Guru auftreten und behaupten, zufällig Gott gesehen zu haben. In scherzhaftem Ton forderte er mich auf, ich solle doch anfangen zu predigen und allen Menschen schildern, was ich gesehen hätte.
Ganz beiläufig, aber doch anteilnehmend, sagte er dann etwas, das teils Frage, teils Behauptung zu sein schien. »Und der Mann?« fragte er. »Du kannst wohl nicht vergessen, daß Gott ein Mann ist?«
Da dämmerte mir die Ungeheuerlichkeit von etwas Unbestimmtem, und ich geriet in einen Zustand großer Klarheit. »Sehr tröstlich, hm?« sagte Don Juan lächelnd. »Gott ist ein Mann. Welch eine Beruhigung!«
Nachdem ich Don Juan berichtet hatte, woran ich mich erinnern konnte, befragte ich ihn wegen einer Sache, die mir plötzlich höchst merkwürdig vorkam. Um die Form des Menschen sehen zu können, hatte ich offenbar eine Verschiebung meines Montagepunktes durchgemacht. Meine Erinnerung an all die Empfindungen und Gefühle, die über mich gekommen waren, wurde so lebhaft, daß sie bei mir ein Gefühl absoluter Vergeblichkeit auslöste. Alles, was ich getan und empfunden hatte, fühlte ich jetzt wieder. Und ich fragte Don Juan, wie es möglich sei, daß ich ein so klares Verstehen, wie es mir zuteil geworden war, so völlig hatte vergessen können. Es war, als habe mich das Geschehene gar nicht berührt, denn ich mußte immer wieder vom Nullpunkt ausgehen, ganz gleich, welche Fortschritte ich schon gemacht hatte. »Das ist nur ein emotionaler Eindruck«, sagte er. »Ein völliges Mißverständnis. Was du vor Jahren getan hast, liegt fest in irgendwelchen ungenutzten Emanationen beschlossen. An jenem Tag zum Beispiel, als ich dich die Form des Menschen sehen ließ, da unterlief mir selbst ein echtes Mißverständnis. Ich dachte, wenn du die Form siehst, könntest du sie verstehen. Das war tatsächlich ein Mißverständnis meinerseits.«
Don Juan hielt sich selbst, wie er sagte, für einen Menschen, der lange brauchte, um etwas zu verstehen. Er habe aber niemals Gelegenheit gehabt, diese seine Überzeugung zu überprüfen, da ihm der geeignete Bezugspunkt fehlte. Als nun ich gekommen und er ein Lehrer geworden sei, was für ihn etwas völlig Neues bedeutete, da habe er erkannt, daß es unmöglich sei, das Verstehen bei jemandem zu beschleunigen und daß es nicht ausreiche, nur den Montagepunkt zu lockern. Bald sei ihm aber bewußt geworden, daß wir alle - da sich der Montagepunkt normalerweise beim Träumen, und manchmal sogar in außerordentlich ferne Positionen verschiebe - große Meister in der Kunst seien, jede einmal eingeleitete Verschiebung, die wir durchmachen, sofort auszugleichen. Wir seien dauernd bestrebt, unser Gleichgewicht wiederherzustellen und unseren Geschäften nachzugehen, als ob nichts geschehen wäre.
Wie wertvoll die Einsichten der neuen Seher seien, sagte er, zeige sich erst, wenn man versuche, den Montagepunkt eines anderen Menschen in Bewegung zu setzen. In dieser Hinsicht hätten die neuen Seher besonderen Wert darauf gelegt, die Stabilität des Montagepunktes in seiner neuen Position zu festigen. Dies galt ihnen als die einzig beherzigenswerte Lehrmethode. Und sie wußten, daß es ein langer Prozeß sei, der im Schneckentempo erfolgen müsse.
Und dann erzählte mir Don Juan, er habe bei mir, am Anfang meiner Lehrzeit, mit Kraft-Pflanzen gearbeitet - und zwar gemäß einer Empfehlung der neuen Seher. Diese hätten aus Erfahrung und durch ihr Sehen gewußt, daß KraftPflanzen den Montagepunkt aus seiner normalen Position losrütteln könnten. Die Kraft-Pflanzen hätten auf den Montagepunkt im Prinzip die gleiche Wirkung wie die Träume: die Träume setzten ihn in Bewegung, aber die KraftPflanzen bewirkten eine weitere, und im Maßstab größere Verschiebung. Der Lehrer nutze also die desorientierende Wirkung einer solchen Verschiebung, um beim Schüler die Vorstellung zu bestärken, daß die Wahrnehmung dieser Welt nie eine endgültige sei.
Nun erinnerte ich mich, daß ich die Form des Menschen fünfmal im Lauf der Jahre gesehen hatte. Mit jedem neuen Mal war ich weniger erschüttert gewesen. Aber nie war ich über die Tatsache hinweggekommen, daß ich Gott stets als männlich sah. Am Ende hörte sie dann auf, für mich Gott zu sein, und wurde zur Form des Menschen, nicht aufgrund dessen, was Don Juan mir sagte,
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