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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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verstehen.
    »Bist du sicher, daß du verstehst, was die Form des Menschen wirklich ist?« fragte er mich lächelnd.
    »Ich versichere dir, Don Juan, ich bin mir völlig bewußt, was die Form des Menschen ist«, sagte ich.
    »Als ich zur Brücke kam, hörte ich, wie du der Form des Menschen irgendwelche Albernheiten zuriefst«, sagte er mit boshaftem Lächeln.
    Darauf erzählte ich ihm, daß ich mich zwar gefühlt hätte wie ein nichtswürdiger Knecht, der einen nichtswürdigen Herrn anbetet, und doch habe mich eine reine Zuneigung getrieben, ihr ewige Liebe zu geloben.
    Don Juan fand dies alles sehr spaßig und lachte, bis ihm die Luft wegblieb. »Das Gelübde eines nichtswürdigen Knechts an einen nichtswürdigen Herrn ist wertlos«, sagte er und rang lachend nach Atem.
    Ich sah keinen Anlaß, mich zu rechtfertigen. Meine Liebe zur Form des Menschen war frei, ohne jeden Gedanken an einen Lohn. Es machte mir nichts aus, daß mein Gelübde wertlos sein sollte.

17. Die Reise des Traum-Körpers
    Don Juan sagte mir, wir beide würden nun zum letzten Mal nach Oaxaca fahren. Er gab deutlich zu verstehen, daß wir dort nie wieder zusammenkommen würden. Vielleicht werde sein Gefühl einst an diesen Ort zurückehren, sagte er, aber nie mehr er selbst als ganzer.
    In Oaxaca verbrachte Don Juan Stunden damit, alltägliche banale Dinge zu betrachten, die verblichenen Farben der Mauern, die Umrisse der fernen Berge, die Muster auf brüchigem Beton, die Gesichter der Leute. Dann gingen wir auf den großen Platz und setzten uns auf seine Lieblingsbank, die unbesetzt war, wie immer, wenn er dort sitzen wollte.
    Auf dem langen Weg in die Stadt, hatte ich mir alle Mühe gegeben, mich in eine traurige, deprimierte Stimmung hineinzusteigern, aber es war mir einfach nicht gelungen. Sein Abschied hatte etwas Festliches. Er erklärte es als die unbezähmbare Energie der absoluten Freiheit.
    »Freiheit ist wie eine ansteckende Krankheit«, sagte er. »Sie ist übertragbar; ihr Bazillus ist ein makelloser Nagual. Die Leute finden keinen Gefallen daran, und zwar, weil sie nicht frei sein wollen. Die Freiheit ist beängstigend, erinnere dich daran. Aber nicht für uns. Ich habe mich mein ganzes Leben lang auf diesen Augenblick vorbereitet. Und das wirst auch du tun.«
    Er wiederholte mir immer wieder, daß in dem Stadium, in dem ich mich befände, keinerlei rationale Erwägungen in mein Tun eingreifen dürften. Sowohl der Traum-Körper wie die Wahrnehmungsbarriere, sagte er, seien Positionen des Montagepunktes, und dieses Wissen sei für die Seher so wichtig wie Lesen und Schreiben für den modernen Menschen. Und beide könne man erst nach jahrelanger Übung erreichen.
    »Gerade jetzt kommt es darauf an, daß du dich an die Zeit erinnerst, als dein Montagepunkt diese Position erreichte und deinen Traum-Körper schuf«, sagte er mit ungeheurer Eindringlichkeit.
    Dann lächelte er und meinte, die Zeit werde knapp; er sagte, die Erinnerung an die große Reise meines Traum-Körpers werde später meinen Montagepunkt in die Lage versetzen, die Wahrnehmungsbarriere zu durchbrechen, um eine andere Welt zu montieren.
    »Der Traum-Körper ist unter verschiedenen Namen bekannt«, sagte er nach langer Pause. »Der Name, der mir am besten gefällt, ist >der Andere<. Das ist, ähnlich wie >die Stimmung<, ein von den alten Sehern geprägtes Wort. Ich habe nicht viel im Sinn mit ihrer Stimmung, aber ich muß gestehen, daß mir ihre Wortwahl gefällt. Der Andere. Es klingt geheimnisvoll und verboten. Wie die alten Seher selbst, erinnert es mich an Dunkelheit und Schatten. Die alten Seher sagten, der Andere kommt immer eingehüllt in den Wind.«
    Im Lauf der Jahre hatten Don Juan und die anderen Mitglieder seines Zuges oft versucht, mir bewußt zu machen, daß wir an zwei Orten gleichzeitig sein könnten, daß wir eine Art von Dualität der Wahrnehmung erleben könnten.
    Und jetzt, während Don Juan sprach, erinnerte ich mich an etwas so tief Vergessenes, daß es mir anfangs schien, als hätte ich davon nur erzählen hören. Dann erkannte ich, Schritt für Schritt, daß ich selbst dieses Erlebnis gehabt hatte.
    Ich war an zwei Orten gleichzeitig gewesen. Es war eines Nachts, in den Bergen im Norden Mexikos. Den ganzen Tag lang hatte ich mit Don Juan zusammen Kräuter gesammelt. Wir machten Rast für die Nacht, und ich war schon beinah eingeschlafen vor Erschöpfung, als plötzlich ein Windstoß aufkam und Don Genaro aus der Dunkelheit vor mir aufsprang, mich

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