Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
Vom Netzwerk:
zu den Flockes, ich fühle mich so fremd bei ihnen.“
    „Wie kannst du so etwas sagen, du undankbares Kind!“, schimpfte Suleika.
    „Meine Mutter war ganz verliebt in diesen Baptist. Was sollte das? Und wie er gesprochen hat, so gebildet, so eingebildet, das passte nicht zu ihm, dass passte nicht zu einem Straßenkind“, fuhr Felix fort.
    „Schmeiß die Lumpen weg...!“, bat Suleika inständig.
    „Nein...“, sagte Felix. „Ich werde sie anziehen. Dann werde ich so aussehen wie er. Er sagte doch, ich würde sein wie er. Das hat er doch gemeint?“
    „Was hab ich damit zu tun?“, entgegnete Suleika.
    Felix ging ganz dicht an den Vogelkäfig, in dem die Krähe saß, und sah ihr in die Augen.
    „Du bist der Sängerin auf der Schulter gesessen. Sie wollte die Wahrheit verkünden. Doch der Schlag traf sie und sie war tot. Sie kann mir die Wahrheit nicht mehr sagen. Aber du kennst diese Wahrheit, da bin ich sicher.“
    Suleika war unwohl zumute. Sie drehte sich einfach von Felix weg und fing an, vor sich hin zu plappern:
    „Aber ich habe doch nur die Münzen für sie aufgesammelt. Hier eine, da eine. Ein klägliches Geschäft. Der Geiz der Menschen ist unbeschreiblich. Sie war blind. Und ich hab’ ein großes Herz. Ich helfe gern und erwarte nicht viel. Aber ihren Liedern habe ich schon lange nicht mehr zugehört. Wir Krähen haben unsere eigenen Melodien, weißt du?“
    Als sich Suleika wieder zu Felix umdrehte, war der nicht mehr da.
    Er kniete in der Mitte des Zimmers neben der Kleidung von Baptist. Vorsichtig griff er sich das Hemd, dann untersuchte er die Hose. In den Taschen war kein einziges Loch zu finden. Am meisten mitgenommen wirkte die Jacke. Die würde bestimmt nicht mehr lange halten.
    „Er tat so fromm. Dauernd hat er von Gott gesprochen. Was sollte das? War das ein Trick?“, fragte sich Felix.
    „Wenn du willst, bringe ich dir mal eines unserer Lieder bei!“, versprach Suleika mit Honig in der Kehle.
    Doch Felix war mit seinen Gedanken ganz woanders.
    „Fedora... sie ist immer krank. Ich bin immer gesund. Ich war noch nie krank... aber sie ist meine Schwester. Wie passt das zusammen?“
    Auch darauf kannte Suleika eine Antwort: „Nur auf die eigene Seele kann man sich verlassen... ja, nur auf sie!“ Sie putzte sich ihr Gefieder, wie immer, wenn sie meinte, dass es brenzlig würde.
    Felix aber war schon dabei, sich das Hemd von Baptist über den Kopf zu ziehen. Dann schlüpfte er in die Hose und zog sich die Jacke an. Alles passte ihm, alles saß wie angegossen. Es sah aus, als hätte er nie etwas anderes getragen. Felix konnte sich nicht genug darüber wundern. Selbst der Spiegel an der Wand schien ihm Recht zu geben.
    „Sieh dir das an, Suleika. Jetzt bin ich der König der Bettler!“, lachte Felix. Er fühlte sich von allen Zwängen befreit. Endlich brauchte er keine Rücksicht mehr auf Nähte, Knöpfe, Flecken und sonstigen Unsinn zu nehmen. Es gab nur noch ihn. Das machte ihn stark.
    „Wenn das Fräulein Romitschka sehen könnte. Meinst du, ich sollte nach unten gehen und sie erschrecken?“
    „Tolle Idee, du Witzbold!“, krächzte Suleika und taumelte auf ihrer Stange im Käfig hin und her, als hätte sie ein Glas zu viel getrunken. „Die Klamotten stinken ja nach Parfüm, mein lieber Herr Gesangsverein, das haut ja den stärksten Adler vom Himmel!“
    Auch Felix stieg der süßliche Duft des Parfüms in die Nase. Fräulein Romitschka hatte es zu gut damit gemeint. Sie hatte in einem Anfall von Reinlichkeitswahn tüchtig von dem kostbaren Wässerchen auf die Kleidung von Baptist geschüttet. Aber die Wirkung war anders, als bei einem normalen Parfüm. Dieses hier betäubte einen regelrecht. So erging es auch Felix. Seine Knie wurden weich wie Butter und er sank langsam zu Boden. Die Stimme von Suleika wurde dünn und dünner und er fühlte sich, als würde er durch eine Röhre in das Innere der Erde rutschen, tiefer und tiefer, ohne Halt.
    „Ja, jetzt habe ich Zeit... viel Zeit... endlos viel Zeit...!“
    Die Gedanken taumelten durch seinen Kopf.
    „...und ich will zur Giraffe... zu der einmaligen Giraffe, wo immer sie ist!“
    Seine Kraft schwand und er wurde müde, müde, unendlich müde...
     
    Wie viel Zeit war vergangen? Vielleicht ein ganzer Tag, 24 Stunden? Langsam kam Felix wieder zu Bewusstsein. Ihm war, als läge er versunken auf dem Meeresgrund. Irgendwie musste er wieder an die Oberfläche gelangen. Dann hörte er es: In der Halle spielte jemand auf dem Klavier.

Weitere Kostenlose Bücher