Das Feuer von Konstantinopel
zu sein und mit einem Besen um sich zu schlagen.
„Großer Gott, wie kommt denn diese Krähe hier herein...? Hinaus... hinaus mit dir, du schwarzes Luder! Die Pest soll dich holen...!“
7.
Schneller und immer schneller rast die Welt ins Unbekannte. Die Zukunft wirft schon heute lange kalte Schatten der Angst auf uns. Sie entlockt zwar der Wissenschaft vielleicht die letzten Geheimnisse, aber trotzdem bleibt die Zeit, die kommt, für die Bewohner der Erde offen und ungewiss. Nichts klärt sich, alles wird nur noch rätselhafter, je mehr wir wissen. Das macht die Masse der Menschen nervös und unruhig. Sie fragen sich unablässig: Was entsteht aus dem, was ist? Was kommt nach dem, was geht? Was steigt auf nach dem, was sinkt? Jede Gewissheit, die wir mühsam errungen haben, wird gleich wieder fragwürdig. So zappeln wir hilflos weiter, Gefangene im Netz des Schicksals.
Die Nachmittagssonne heizte unermüdlich die grauen Dachschiefer auf. Als Felix seinen Kopf durch die Dachluke ins Freie streckte, fühlte er sogleich die Wärme um sich herum. Sie tat ihm gut.
‚Kaiserwetter!’, hatte sein Vater immer gerufen, wenn er morgens den blauen Himmel entdeckte. Der Ruf sollte die Familie in den Garten locken, neugierig machen auf die Wunder des Sommers, auf die Überraschungen der Natur.
‚Kaiserwetter!’, echote die Stimme der Mutter stets hinterher. Sie wirbelte dabei durch die Räume und jagte Mann und Maus dem Vater nach, der abwechselnd die Arme himmelwärts streckte und sich dann wieder auf die Brust klopfte und so die frische Sommerbrise genoss. Es herrschte Heiterkeit, wohin man auch blickte. Wie lange war das alles her? Würde es jemals wieder so sein?
Felix atmete tief durch. Die Luft, die sanft über die Dächer wehte, fühlte sich schwer an. Er wollte nicht traurig sein. Er fühlte, dass sein Weg noch lange nicht zu Ende war. Vielleicht sogar erst am Anfang. Jemandem lag daran, dass er zur Giraffe kam. Und dieser jemand war bestimmt nicht die verrückte Madame Dolly. Nein, es war der Kardinal, da war sich Felix sicher.
Er legte seine Hand auf die Dachschindeln. Die Sonne hatte sie so erhitzt, dass man auf ihnen bestimmt hätte Eier braten können. Mit einem Ruck stemmte sich Felix durch die Luke auf das Dach. Es schien ihm kein schlechter Ort zu sein. Bequem könnte man von hier oben aus von Dach zu Dach durch die halbe Stadt wandern. So, wie es die Schornsteinfeger tun. Die Häuser standen dicht genug zusammen.
Ein Gefühl von Freiheit breitete sich in seiner Brust aus. Nach all den Tagen im Gefängnis, der bedrückenden Begegnung mit dem Kardinal und der verrückten Madame Dolly fühlte er sich endlich wieder als Herr seiner eigenen Entscheidungen.
Vorsichtig setzte Felix einen Fuß vor den anderen. Das Dach musste erkundet werden, damit er der Alten etwas erzählen konnte, falls sie ihn danach fragte. Gar nicht so leicht. Nirgendwo konnte er sich festhalten. Was für eine verrückte Aufgabe hatte sie ihm da gestellt? Das ganze Dach war nur lose zusammengezimmert und wirkte durch und durch brüchig und morsch. Es war unmöglich auszubessern, es gehörte komplett erneuert. Für Felix alles ein Beweis dafür, dass Madame Dolly wirklich nicht ganz richtig im Kopf war. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wie es hier oben aussah. Felix konzentrierte sich voll und ganz darauf, nicht auszurutschen und in die Tiefe zu stürzen.
„He, du da! Aus der Sonne!“, rief ihm eine Stimme zu.
Felix drehte sich um. Nicht weit von ihm hatte sich ein Junge auf dem Dach ausgestreckt. Die Augen hielt er halb geschlossen, als würde er so vor sich hin dösen. Die verschränkten Arme unter dem Kopf schienen zu sagen: Was geht mich die Welt an?
Felix traute seinen Augen nicht. Vor ihm lag Baptist, der Dieb, der Brandstifter, der Unglücksbote. Und er war zum Greifen nahe.
„Ich sage nicht gerne alles zweimal!“, schnaufte Baptist mit dem Blick gegen die Sonne und trat mit dem Fuß nach Felix, wie nach einer räudigen Katze. Baptist hatte immer noch nicht erkannt, mit wem er es da eigentlich zu tun hatte.
„Wage ja nicht, noch einmal nach mir zu treten!“, wehrte sich Felix.
Baptist schreckte hoch. Auch er konnte nicht glauben, wer da vor ihm stand.
„Heiliger Bimbam, Felix... wie hast du mich gefunden?“, stotterte er. Flucht kam ihm in den Sinn.
Felix durchschaute Baptist sofort und packte sich den am Boden Liegenden ehe der entwischen konnte.
„Was hast du mit meinen Kleidern gemacht?“,
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