Das Feuer von Konstantinopel
häuften sich mitten auf den Wegen und stanken buchstäblich zum Himmel. Viele der Männer, auf die sie jetzt trafen, hatten die Gesichter zerschnitten und trugen verwegene Ballonmützen, die gleich den Dächern schief auf ihren Köpfen saßen.
Felix fielen die Frauen auf, deren Kleider viel zu bunt waren und die ihre kleinen Handtaschen schwenkten. Sie zwinkerten Felix zu und lachten dabei. Traf sie der Blick des Kardinals, wendeten sie sich rasch ab. Vor ihm hatte jeder Angst, soviel war Felix klar.
Immer tiefer ging es in das Labyrinth der Armut hinein. Die Menschen wirkten hart und sahen mager aus. Hungergesichter ohne Hoffnung. Fabrikschornsteine, die ohne Unterlass Ruß ausstießen, verpesteten die Luft. 'Arme-Leute-Gegend’, hätte es Fräulein Romitschka genannt.
‚Wie ein Magnet zieht Armut alle anderen Übel mit an!’, sagte sie stets.
Felix stellte sich vor, wie sie machtlos an ihren Schirm geklammert in diesen engen stickigen Gassen Beklemmungen bekommen hätte.
Dann waren die beiden am Ziel ihrer Wanderung. Mitten im größten Durcheinander von kleinen schmutzigen Gassen ragte ein schmales hohes Haus zwischen den anderen hervor. Es drohte, jeden Moment nach vorne zu kippen, so schief stand es da. Bunte, zerschlissene Vorhänge flatterten durch die offenen Fenster. Genau hier blieb der Kardinal stehen und sah Felix an. Die Ruhe, die der Mann jetzt ausstrahlte, war so scharf wie eine Rasierklinge.
„Wir sind am Ziel. Du hast es geschafft“, sagte er zu Felix und ließ die Hand des Jungen los. Der rote Handschuh deutete auf das verrottete Haus.
Felix las das Schild, das über der offenen Eingangstüre angebracht war: Hotel Giraffe .
Die ‚Giraffe’ war also ein Hotel! Er sollte zu einem Hotel kommen. Aber warum?
Der Kardinal ließ Felix einfach stehen und trat durch die Türe in den dunklen Flur des Hauses. Nur das Glühen des roten Handschuhs konnte die Dunkelheit nicht dämpfen. Scheinbar wartete der Mann auf Felix.
„Tritt ein, Felix! Trödel nicht herum!“, rief er aus dem Dunkel.
In Nu waren ein paar Kinder auf der Gasse zusammengelaufen und hatten Felix in sicherem Abstand umrundet. Auch sie hungrig und schmutzig. Stumm starrten sie Felix an, verfolgten gespannt, was er jetzt weiter tun würde.
‚Ich werde einer von ihnen sein, sobald ich dieses Haus betrete’, dachte er.
„Felix! Du wolltest es doch so! Jetzt komm!“, rief der Kardinal unerbittlich.
Die Kinder um Felix setzten ein von Angst verzerrtes Lächeln auf. Jedes war froh, dass dieser Befehl nicht ihm selbst galt. Niemals würden sie auch nur einen von ihren schmutzigen Füßen freiwillig in das Hotel Giraffe setzen, so viel war Felix klar.
Der Schrei kam aus einem der unteren Zimmer.
„Kardinal!“, kreischte es wie eine Kreissäge, die auf einen Nagel trifft. „So ein hoher Besuch! Welch eine Ehre, der Kardinal leibhaftig!“
Es war eine Frauenstimme.
Ehe sich Felix versah, schubsten ihn zwei der größeren Jungen in den Eingang des Hotels. Dann suchten die Kinder schreiend das Weite.
Innen gewöhnten sich Felix’ Augen langsam an die Dunkelheit. Wie nicht anders zu erwarten, war es auch hier schmutzig und eng. Der Geruch von fauligen, feuchten Wänden nahm ihm den Atem. Tapeten blätterten in langen Fetzen von dem Mauerwerk, schimmelten ungestört vor sich hin.
Eine schmale Treppe führte nach oben.
„Was für ein hübsches Bübchen. Und so ein feines Gesichtchen.“
Felix erkannte eine große, schlanke Frau mit einer hoch getürmten wirren Frisur und einem langen Gesicht. Sie musste die Giraffe sein. Das gelbe Kleid mit den braunen Punkten passte bestens zu dem Bild. Trotz des warmen Wetters mummelte sie sich in ein schwarzes Umhängetuch. Vor ihre Augen hielt sie eine Brille, um Felix genauer zu untersuchen. Die Brillengläser vergrößerten ihren Menschenfresserblick.
„Nun... ich hoffe, er schleppt keine Läuse an oder sonstiges Ungeziefer. Hier handelt es sich um ein hoch anständiges Haus“, tönte sie.
Felix platzte der Kragen: „Sie sind doch selber voller Flöhe und Wanzen!“
Wieder ertönte dieser spitze Schrei. Dann zeterte die Alte los. Ihr Gesicht glühte vor Wut wie ein Backofen.
„Ungezogenes Pack! So eine Brut! Muss ich mir das antun? Die Welt ist mein Zeuge. So spricht niemand mit mir! Hinaus mit ihm, hinaus, hinaus, hinaus!“
Sie fuchtelte mit ihrer Brille wild darauf los, als würde sie nach den grausamsten Zaubersprüchen suchen.
Gerade wollte Felix davonlaufen, da
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