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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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entdeckte er auf der Empfangstheke, direkt neben dem vergilbten Gästebuch, in das sich wohl jeder Gast einzutragen hatte, die ballspielende Porzellankatze. Ja, es war die Figur, die seine Mutter Baptist geschenkt hatte. Er erkannte sie genau. Wie kam sie hierher? Hatte dieser Baptist etwas mit dem Hotel zu tun? Würde er ihn hier finden?
    „Entschuldige dich auf der Stelle bei Madame Dolly!“, schaltete sich der Kardinal jetzt ein. Er schien sich jedoch nicht groß für den Streit zu interessieren.
    Felix sah die Alte an. Er hatte Angst, sie könnte in seinen Augen seine Gedanken lesen.
    „Entschuldigung...!“, murmelte Felix.
    „Fort mit dir!“, war ihre Antwort. Ihr Menschenfresserblick wanderte an ihm hoch und hinunter. Dann drehte sie ihm den Rücken zu, als wäre der Fall für sie damit ein für alle Mal erledigt.
    „Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich versichere mit meinem Ehrwort, ich würde alles tun, um diese Unartigkeit ungeschehen zu machen, Madame. Ich flehe um Gnade.“
    ‚Das ist meine Stimme, aber ich habe kein Wort gesagt, meine Lippen waren geschlossen. Jemand hat für mich gesprochen’, dachte Felix erschrocken.
    Hinter sich spürte er einen leisen Lufthauch und als er sich umdrehte, glänzten die schwarzen Augen von Suleika ihm entgegen. Sie war schon immer gut im Nachmachen von Stimmen.
    „Welch eine formvollendete Höflichkeit. Wer kann da widerstehen? Der Bursche hat wahrlich Manieren. Genau das Richtige für unser Haus. Erst gestern ist ein echter Fürst abgereist, samt seiner holden Tochter. Welch eine Ehre...!“ Madame Dolly wog ihre Hochfrisur vor Verzückung wie einen Stapel Porzellanteller vorsichtig hin und her. Dann änderte sich ihre Stimmung erneut. Wieder blickte sie durch die Brille, die sie sich vor die Augen hielt.
    „Marsch, hinauf mit dir aufs Dach. Der Sturm hat alle Schindeln gelockert. Sieh’ zu, dass du sie wieder fest bekommst!“, befahl sie plötzlich.
    Felix versuchte, Suleika in der Dunkelheit ausfindig zu machen. Sie saß wie ausgestopft auf einem schiefen lichtlosen Wandleuchter und rührte keine Feder.
    Der rote Handschuh des Kardinals gab Felix einen Schubs, und der Junge stolperte die Stufen hinauf.
    „Träum’ nicht! Reiß dich zusammen!“, raunzte er Felix an.
    Felix beeilte sich und erklomm die Treppe. Auch im Treppenhaus herrschte nur Dunkelheit. Die Stufen waren ausgetreten und locker und gaben keinen wirklichen Halt. Steil führte die Treppe nach oben und schraubte sich in nicht enden wollenden engen Biegungen von Stockwerk zu Stockwerk. Überall wackelte das Geländer wie ein loser Zahn. Felix stolperte etliche Male, ehe er wirklich oben an der schmalen Dachluke angekommen war.
    Von unten hörte er Madame Dolly laut lachen.
    „Ach, Kardinal, bleiben Sie doch noch auf ein Gläschen. Wie spät ist es überhaupt? Mein Gott, die Zeit vergeht gar nicht. Die Zeit, das ist mein Lebensstoff...! Sehen Sie mich bitte nicht so verächtlich an! Das ertrage ich nicht.“
    „So, ein Fürst ist also hier gewesen? Mit seiner holden Tochter? – Wo ist denn das Geld, Madame Dolly, wenn ich fragen darf?“, wollte der Kardinal wissen.
    „Habe ich das wirklich gesagt? Wie unendlich dumm von mir. Ich sollte es besser wissen. Wir hatten doch seit Jahren keine Gäste mehr. Dieser Brunnen ist versiegt. Für immer trocken. Vorbei. Ich bin verzweifelt, Kardinal. Nicht ein einziger Gast. Wie spät ist es jetzt? Wie spät?“, flehte sie ihn förmlich an.
    „Lassen Sie augenblicklich meine Hand los! Sind Sie wahnsinnig geworden? Nicht anfassen. Beherrschen Sie sich gefälligst. – Dieser Junge ist unsere ganze Hoffnung“, polterte der Kardinal. Aber Madame Dolly gab nicht auf.
    „Über uns ballen sich nur dunkle Wolken. Er muss uns helfen“, jammerte sie weiter.
    Dann hörte Felix, wie Madame Dolly sich theatralisch in ein Taschentuch schnäuzte.
    ‚Sie ist verrückt, aber sie scheinen mich zu brauchen’, dachte sich Felix.
    Madame Dolly erhob erneut ihre Stimme:
    „Ich bin tief in Ihrer Schuld, Kardinal, glauben Sie mir, ich habe es nicht vergessen. Aber hier, im Hotel Giraffe , passiert nichts, rein gar nichts. Wir alle verschwenden hier nur unsere Zeit, unser Leben. Erlösen Sie uns, bitte.“
    „Das ist nicht so einfach. So viele Seelen hungern nach Erlösung.“ Mit diesen salbungsvollen Worten verabschiedete sich der Kardinal und verließ das Hotel Giraffe .
    Erneut ertönte der Schrei von Madame Dolly. Diesmal schien sie noch mehr außer sich

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