Das Feuer von Konstantinopel
Polizisten und Soldaten schützen.
In der Menge befand sich auch eine Frau mit einer blauen Reisetasche. Sie lächelte beinahe ohne Unterlass und versuchte, den Menschen auszuweichen. Irgendwie gehörte sie hier nicht her. Das Drängeln all dieser Fremden schien ihr unbehaglich zu sein.
Immer wieder hauchte sie mit leiser Stimme: „Danke vielmals, vielen Dank auch!“
Diese Worte richtete sie an das Heer der fliegenden Händler, das sie mit ihren Waren immer wieder umlagerte. Es ging um Postkarten, die den Kaiser im Kreise seiner Familie zeigten, oder um Papierfähnchen mit den Farben des Kaiserhauses, es ging um Berliner Luft in Dosen und es ging um Schrippen mit Käse – alles das wollte man der Frau verkaufen. Aber zu alledem antwortete sie nur: „Danke vielmals, vielen Dank auch!“
Ihre rechte Hand umklammerte den Tragegriff der blauen Reisetasche, in der linken trug sie einen Schirm. Sie würde diese Tasche mit ihrem Leben verteidigen, denn in der Tasche war ihr letztes Geld. Das Einzige, was diese Frau noch besaß. Jede Nacht schlief sie in einem anderen billigen Hotel. Tagsüber zog sie ziellos durch die Straßen. Sie hatte ihr Gedächtnis verloren. Sie wusste nicht mehr, wie sie hieß, wo sie wohnte, woher sie kam und wohin sie ging. Sie ahnte nur, dass ihr etwas Schreckliches zugestoßen sein musste. Den Rest hatte ihr Gehirn ausgelöscht. Sie hatte keine Erinnerung mehr. Sie lebte im Heute. Auf keinen Fall wollte sie zur Polizei oder zu den Behörden. Ihre Angst davor, dass man sie für verrückt hielt und in eine entsprechende Anstalt einsperrte, war viel zu groß. Das durfte ihr unter keinen Umständen widerfahren, das wusste sie, das war ihr klar.
Plötzlich stutzte sie. Ja, ein Junge lief auf sie zu. Sie freute sich. Kinder mochte sie. Die nahmen ihre Verrücktheit nicht so wichtig. Den Jungen kannte sie doch, da war sie sich ganz sicher. Freude überzog ihr Gesicht. Der Junge merkte das sofort und hielt ihr einen ganzen Schwung Postkarten entgegen. Unsicherheit ergriff die Frau mit der blauen Reisetasche: ‚Ist das alles ein Irrtum? Am Ende kenne ich ihn gar nicht!’
Sie schritt weiter voran, aber der Junge wich nicht mehr von ihrer Seite.
„Kaiserliche Hoheit, Porträt in Uniform, nur fünf Pfennige, gnädige Frau!“, jubelte er, als würde er ihr eine Wundermedizin anbieten. Postkarten waren zu dieser Zeit der letzte Schrei. Jeder, der etwas auf sich hielt, sammelte sie.
„Danke vielmals, vielen Dank auch!“, antwortete die Frau und ging schnell weiter.
„Vom Hofphotographen Schulze eigenhändig geknipst!“, fügte der Junge mit Kennermiene hinzu. Er ließ nicht locker. Das Geschäft war hart, an der nächsten Ecke wartete bereits die Konkurrenz, er musste etwas verdienen. Zuhause weinten jede Menge hungriger Geschwister, eine kranke Mutter lag im Bett und ein arbeitsloser Vater trank. Woher das Geld für die Miete nehmen?
Plötzlich blieb die Frau stehen. Sie wandte sich dem Jungen zu.
„Mein Gott, wie du nur wieder aussiehst. Knöpf dir doch wenigstens die Jacke zu. Das kann ich so nicht durchgehen lassen.“
Dem Jungen verschlug es die Sprache. Geheimnisvoll beugte sich die Frau zu ihm.
„Krähen... überall sind sie... ich kann sie nicht mehr sehen... glaubst du, sie stammen auch von Gott ab?“
Stumm schüttelte der Junge den Kopf. Es schien ihm besser so. Die Frau meinte es ernst, da gab es für ihn gar kein Vertun.
„Hoch der Kaiser! Vivat! Hoch der Kaiser!“, ertönten plötzlich die Rufe aus der Menge. „Hoch der Kaiser!“
Die harten Hufe der Pferde prasselten über das Pflaster und in einem munteren Trab ritten der Kaiser und seine Begleitung an der verzückten Menge vorbei. Freundlich grüßte der Monarch in Richtung seiner Untertanen. Dazu strahlte seine Laune wie das Wetter: kaiserlich. Dem Gast aus dem Osmanischen Reich zu Ehren trug der Herrscher eine osmanische Uniform und seine Bartspitzen waren wie stets himmelwärts gedreht.
Sinan Khan, der türkische Militärattaché, ritt ebenfall in Uniform. In aufrechter Haltung hielt er stolz die Zügel seines Pferdes in den Händen. Mit einem Lächeln grüßte er in die Menschenmenge und auch seine Schnurrbartspitzen deuteten in die Höhe.
Aber das Hauptaugenmerk der Menschen richtete sich bei ihm auf etwas ganz anderes. Es war der mit Pfauenfedern geschmückte Turban des Türken, der schon seit Wochen für Aufregung in den Zeitungen sorgte. Denn in diesem Turban funkelte rot ein Rubin, von einer
Weitere Kostenlose Bücher