Das Feuer von Konstantinopel
besser?“
Unsicher geworden lächelte die Frau den Mann an. Der merkte ihr natürlich an, wie sie krampfhaft überlegte, was es mit all den Fragen auf sich hatte.
„Erinnern Sie sich? Es war am Bahnhof... Sie sind mit dem Kopf angeschlagen... an einen Eisenträger...?!“, setzte der Polizist behutsam nach.
„Natürlich, natürlich... na ja... so ähnlich muss es wohl gewesen sein!“, antwortete Fräulein Romitschka. Doch richtig überzeugt war sie von ihrer Antwort selbst nicht. Geschweige denn, dass sie das einordnen konnte, was ihr da erzählt wurde.
Die beiden Polizisten sahen sich ratlos an.
„Diese Person will unbedingt den Kaiser sprechen. Sie verhält sich hoch verdächtig!“, sagte der erste Polizist.
Dann flüsterten beide Männer, steckten die Köpfe zusammen. Der Polizist vom Bahnhof deutete sich immer wieder an den Kopf. Der andere nickte nur dazu, den Mund halb offen.
„Also gut, gnädige Frau, wir werden dem Kaiser ausrichten, dass Sie ihn sprechen wollen!“, sagte der Polizist, der eben noch ihre Tasche durchsuchen wollte. Er wirkte deutlich freundlicher als zuvor.
„Und jetzt, Fräuleinchen, gehen Sie besser schnell wieder nach Hause, so wie die anderen auch. Der Kaiser wird sich umgehend bei Ihnen melden. Ganz sicher sogar. Und schonen Sie Ihren Kopf!“, riet ihr der Polizist vom Bahnhof mit väterlicher Miene.
„Dann kann ich mich also auf Sie verlassen?“, fragte Fräulein Romitschka noch einmal nach.
Beide Polizisten nickten gleichzeitig und tippen mit ihrem Finger an die Haube.
„Danke vielmals, vielen Dank auch!“
Die Frau mit der blauen Reisetasche wandte sich von den Uniformierten ab. Entschlossen ging sie den prächtigen Boulevard hinunter. Es gab genügend Platz für jeden. Berlin hatte nämlich die große Menschenansammlung längst wieder verschlungen.
Langsam sank die Sonne am Himmel. Der Tag ging zu Ende. Felix hatte Baptist verschont, und ihn nicht in die Tiefe gestoßen. Beide saßen jetzt nebeneinander auf dem Dach des Hotels Giraffe . Felix hatte sich wieder einigermaßen beruhigt. Ihm war klar, dass Baptist in diesem Spiel nur eine wehrlose Figur war. Aber er kannte sich in der schlimmen Welt aus, in die Felix hineingeraten war. Wer wusste schon, ob Felix das nicht noch einmal nützlich sein würde? Und Baptist schien ein naiver Junge mit einem guten Herzen zu sein. Das kam mehr und mehr zu Tage.
„Feuer, ich!?! Ich wollte wiederkommen. Die Honigbrote, ein Traum. Deine Mutter war so gut zu mir.“
Baptist sprach langsam und voller Wehmut. Unfassbar für ihn, dass das Haus in der Pappelallee niedergebrannt sein sollte.
„Das darfst du nie wieder tun!“, sagte er zu Felix.
„Was?“, fragte der zurück.
„Versuchen, mich umzubringen. Nie wieder, hast du verstanden?“ Baptist lächelte. Felix lächelte zurück.
„Sag zu allem Ja und Amen, wenn die Gewitterziege Dolly dir Arbeit zuteilt. Machen brauchst du sie nicht. Sie kontrolliert nichts und sie merkt nichts. Wenn sie mal wieder plemplem ist, schickt sie einen aufs Dach. Das ist der beste Platz im Hotel Giraffe , ich schwöre es dir!“ Baptist lachte.
„Gibt sie uns auch was zu Essen?“, wollte Felix wissen.
„Manchmal. Wenn sie einen guten Tag hat. Sonst holen wir uns was aus der Armenküche. Meistens gibt es dort bloß Streit. Die Starken verjagen gern die Schwachen. Jedes Mal. Das Essen reicht nie für alle.“
„Ein Albtraum“, antwortete Felix.
„Auf dem Dach kannst du glücklich sein...“, fuhr Baptist fort, „...da unten bist du verloren.“
Beide Jungen blickten vom Dach hinunter auf die engen schmutzigen Gassen.
Aber Baptist war noch nicht zu Ende mit seiner kleinen Einführung in die Welt der Armut.
„Wir werden auf dem Dachboden schlafen. Dort gibt es ein paar leere Zuckersäcke, mit denen kann man sich prima zudecken. Du wirst sehen, so schlecht ist es hier gar nicht!“
„Ich kann’s gar nicht erwarten, klingt wirklich alles sehr verlockend!“, antwortete Felix und lachte dabei bitter auf, wie über einen üblen Scherz.
„Du musst stark sein, Felix, komme was wolle.“
„Danke für die Aufmunterung. Ich werde schon einen Ausweg finden.“
„Hier ist das Leben voller Dinge, denen du wahrscheinlich noch nie begegnet bist.“
„Ach ja, soll ich jetzt auch noch dankbar sein?“, fragte Felix ärgerlich zurück.
Baptist zog es vor, besser ruhig zu sein.
„Wer weiß, was mit meiner Familie ist? Vielleicht leben sie noch. Bestimmt leben sie noch.“
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