Das Feuer von Konstantinopel
Müttern ab, um sie dann an reiche kinderlose Ehepaare weiterzuverkaufen, sie zu Geld zu machen. Aber sie wollte keines um sich haben. Es war ein Geschäft für sie, mehr nicht.
Doch der Kardinal befahl ihr, Baptist wieder zu sich zu nehmen. Sie gehorchte untertänig, wenn auch widerwillig.
Zum großen Glück für alle Beteiligten tauchte eines Tages in den schmutzigen Straßen rund um das Hotel ein blindes Mädchen auf. Sie hieß Sonja. Sonja kümmerte sich hingebungsvoll um den kleinen Baptist. Sie stammte ursprünglich aus Russland und man erkannte sie an der Krähe, die stets auf ihrer Schulter saß und der Blinden so den Weg wies.
Da Sonja die äußere Welt nicht sehen konnte und auch noch nie gesehen hatte, lehrte sie Baptist nach innen, in die Seele zu horchen.
Schon bald sprach es sich im Krätzeviertel herum, dass Baptist Dinge sah und verstand, für die zu sehen sonst niemand die Kraft und Fähigkeit hatte. Unglück, Glück, Botschaften von Toten, Krankheiten, Vorhersagen, was der nächste Tag bringen würde, der nächste Monat, das nächste Jahr oder ein ganzes Leben – Baptist konnte von all dem den verzweifelten Menschen berichten.
Daraufhin nahm sich der Kardinal erneut des Jungen an. Mit Hilfe von Baptist stieg der Einfluss des Mannes mit dem roten Handschuh unter den Menschen in Windeseile. Seine Macht wurde größer und größer. Baptist war sein Eigentum. Nur er bestimmte, wer mit dem Jungen sprechen durfte, wem er half und wem nicht.
Die Kunde von dem Wunderknaben breitete sich schnell in der ganzen Stadt aus. Die Ratlosen und Verzweifelten kamen von überall her. Sie pilgerten in das Krätzeviertel. Unter ihnen waren reiche, mächtige Persönlichkeiten, die nicht erkannt werden wollten und die deshalb Schleier oder Masken vor ihren Gesichtern trugen, wenn sie bei den Versammlungen auftauchten. Der Kardinal blieb immer diskret, niemand erfuhr jemals den wahren Namen eines Hilfesuchenden.
Das Mädchen Sonja sollte allerdings verschwinden. Sie störte das böse Spiel des Kardinals. Baptist sollte nur e inem Menschen auf der Welt gehören, einem einzigen Herrn und Meister.
Der Kardinal verschleppte das Mädchen weit weg, von Berlin nach Konstantinopel, wo sie ihm entkam und fortan als Straßensängerin ein klägliches Leben führte. Sie wurde von einem einzigen Wunsch getrieben: Sie wollte Baptist wiedertreffen, den Menschen auf der Welt, den sie über alles liebte. Doch sie fand nie wieder zurück. In der Welt, so wie wir sie kennen und sehen, kam sie nicht zurecht. So zog sie durch das Wirrwarr der Gassen von Konstantinopel, bis sie am Haus von Onkel Fidelius Felix am Fenster ‚entdeckte’. Sie spürte ihn, spürte eine Verbindung zwischen ihm und Baptist. Felix kannte ihn zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Aber Sonja sah bereits damals etwas, was niemand sonst vorhersehen konnte. Wie schrecklich es dann weiterging, nun, ihr wart ja dabei...
„Die Leute erzählten, sie trug eine Krähe auf ihrer Schulter. Das ist das Einzige, was ich noch von ihr weiß...“, schloss Baptist seine Erzählung.
Er und Felix lagen auf dem Dachboden des Hotels und hatten sich mit leeren Zuckersäcken zugedeckt. Die Dachluke war weit offen und die Sterne schimmerten am Nachthimmel kostbar und geheimnisvoll.
„Eine Krähe?!“, wiederholte Felix verwundert.
„Ja, schwarz wie die Nacht...“, antwortete Baptist. „Aber jetzt lass uns schlafen. Ich bin hundemüde.“
„Ich kenne eine Krähe!“, flüsterte Felix.
Doch Baptist schlief bereits. Er hörte seinen neuen Freund nicht mehr.
Felix schloss seine Augen und sprach zu sich: „Ich kenne sie...!“
Der Schlaf kam auch zu ihm und im Traum erschien ihm wieder das Gesicht der Sängerin. Jetzt kannte er ihren Namen: Sonja.
„Öffne deine Hände, Felix...!“, verlangte sie mit leiser Stimme. Sie summte die Melodie, die er schon kannte, und wich nicht von seiner Seite. Felix fühlte sich beschützt. Er wollte das Lied mitsummen, doch seine Kehle war ausgetrocknet. So sehr er sich auch bemühte, kein Ton formte sich zwischen seinen Lippen.
Da traf ihn ein Tropfen auf die Wange und weckte ihn auf. Regen konnte es nicht sein, eher eine Träne, die vom Himmel fiel. Als Felix die Augen aufschlug, sah er einen Schatten. In der offenen Dachluke kauerte Suleika.
„...eine Krähe, die weint. Krähentränen! Davon wisst ihr Menschen nichts“, krächzte sie so leise es ihr möglich war. Baptist sollte nicht geweckt werden.
„Suleika...!“, freute
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