Das Feuer von Konstantinopel
herumturnst“, sagte sie, nahm schnell ihre Brille ab und drehte sich weg von Felix.
„Die Zeiger der Uhr zeigen genau...“ Den Satz sagte er nicht zu Ende, denn er schlich sich von hinten an Madame Dolly heran. Die blieb arglos von ihm abgewandt.
„Nun, ich höre...!“
Felix schwang den Zuckersack durch die Luft und zog ihn der völlig überraschten Madame Dolly über den Kopf.
„Es ist zu spät...für Sie, Madame!“, rief Felix siegesgewiss aus und knotete den Sack zu, aus dem jetzt nur noch Madame Dollys dünne Beine hervorschauten. Dann griff er sich eine Wäscheleine vom Boden und schnürte sie fest um den zappelnden Sack, in dem Madame Dolly vor Wut tobte.
„Rattenbrut! Rattenbrut! Lass mich sofort hier raus!“
Felix band den Sack so fest zu, wie er nur konnte. Er hatte es geschafft. Die Alte war besiegt.
Spärlich fiel Mondlicht durch den kleinen Eingang des Hotels Giraffe . Baptist atmete das schwere Parfüm ein, das der Gast verströmte, den er in der Dunkelheit kaum erkennen konnte.
Der Gast war eine Frau.
„Es ist nur für eine Nacht“, sagte sie leise und ihre Stimme klang müde.
„Wir haben kein Licht“, antwortete Baptist. „Versuchen Sie, mir zu folgen.“
„Danke vielmals. Vielen Dank auch“, gab die Frau zur Antwort.
„Darf ich Ihnen die Tasche tragen?“, fragte er höflich, bevor er nach der blauen Reisetasche greifen wollte.
„Nein... danke vielmals. Vielen Dank auch. Das ist nicht nötig. Es geht schon. Nur vorwärts.“
Vorsichtig schritt Baptist die wackelige Treppe empor. Nach den ersten Schritten drehte er sich um, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war. Doch die Frau war stehen geblieben. Ein Streifen Mondlicht lag auf ihrem Gesicht. Sie sah auf zu Baptist und Tränen kullerten ihr über das Gesicht.
„Ich habe eine Bitte“, begann sie vorsichtig.
„Ja, sprechen Sie offen“, antwortete ihr Baptist, der auf der Stufe vor ihr ebenfalls stehen geblieben war.
„Dort unten...“, fuhr sie fort und deutete mit ihrem Kopf abwärts.
Baptist verstand nicht.
„Und weiter...?“, fragte er.
„Auf der Rezeption, gleich neben der Hotelklingel...“ Traurig wischte sie sich mit einem kleinen Taschentuch Tränen aus dem Gesicht.
„Was ist da?“, fragte Baptist.
„Es ist diese Figur, die ballspielende Katze... Ich würde sie gerne kaufen, wenn es geht.“
Bevor Baptist ihr antworten konnte, kam ihm eine Stimme zuvor. Es war die von Felix.
„Die Katze kostet ein Vermögen, Fräulein Romitschka!“, rief er freudig aus. Er stand oben an der Treppe.
Die Augen von Fräulein Romitschka suchten misstrauisch die Dunkelheit ab.
„Ich kann jeden Preis bezahlen. – Wer bist du? Woher kennst du diesen Namen?“ Ihre Stimme klang hart und bitter. Sie hatte den Scherz von Felix nicht verstanden.
„Ich bin Felix von Flocke. Erkennen Sie mich denn nicht?“
„Tut mir leid. Ich kenne keinen Felix von Flocke. Welch törichter Name! Wagt ja nicht, mich zu bestehlen“, drohte Fräulein Romitschka. Sie träufelte ein wenig Parfüm auf ihr Taschentuch und tupfte sich damit den Hals.
„Diese Hitze, dieser Gestank! Kaum auszuhalten“, stöhnte sie leise.
„Sie ist verrückt geworden!“, flüsterte Felix Baptist zu. Dabei atmete er tief ein.
„Es ist dieses Parfüm aus Konstantinopel... ich habe es ihr geschenkt! Es ist das reinste Gift.“
Fräulein Romitschka hatte sich wieder gefasst.
„Und jetzt möchte ich bitte umgehend auf mein Zimmer geleitet werden. Danke vielmals. Vielen Dank auch...“, unterbrach sie die beiden Jungen, ohne gehört zu haben, was Felix gesagt hatte. Stolz ging sie an ihm vorbei, erklomm die Treppe. Keinen Blick hatte sie für den Jungen übrig.
Madame Dolly rang nach Luft. Es war nicht nur die Dunkelheit, die ihr zu schaffen machte. Sie konnte kaum atmen in diesem Zuckersack.
„Hilfe!“, rief sie aus. Doch das war zu anstrengend und kostete zu viel Atemluft. Nichts rührte sich. Es herrschte Totenstille.
Bis auf dieses Geräusch. Ein leises Rascheln. Weht da ein Wind durch die Halme?
„Ist da wer?“, rief Madame Dolly mit klagender Stimme.
Es kam keine Antwort. Madame Dolly versuchte sich auf ihr Gehör zu konzentrieren.
„Ich habe keine Angst vor dir!“, rief sie plötzlich aus, halb erstickt durch den Sack. „Ich fürchte niemanden.“
Wieder keine Antwort. Kein Laut. Dennoch spürte sie jemanden, jemanden, der ganz nah bei ihr war. Leise und zart erklang eine Mädchenstimme. Sie sang ein altes Lied.
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