Das Feuer von Konstantinopel
eine Eisenkugel und drohte zu zerspringen. Solche Schmerzen hatte sie.
Sie musste nicht lange überlegen, wo sie sich befand.
‚Das Hotel Giraffe ist immer noch der gleiche Dreckstall’, dachte sie.
Frau von Flocke wollte es ja damals gar nicht erst betreten, so sehr grauste es ihr. Aber Herr von Flocke redete ihr gut zu: Es wäre doch für einen guten Zweck, dieses arme Kindlein, das sie hier in Empfang nehmen sollten... von dieser grässlichen Frau mit dem Menschenfresserblick, die sich mit ‘Madame’ anreden ließ.
‚Wie bin ich nur hierher gekommen?’, fragte sich Fräulein Romitschka. Andere Dinge fielen ihr ein: Sie sollte doch auf Felix aufpassen, weil die Flockes nach Wien mussten, zu dem Arzt, der Fedora untersuchen wollte... Langsam begann es ihr zu dämmern, wer sie war.
Sie öffnete die Zimmertüre und sah in den Flur. Kein Licht brannte. Waren da nicht Schritte zu hören?
„Hallo, ist da jemand?!“, rief sie.
Keine Antwort. Sie schloss die Zimmertüre wieder.
Kaum hatte sich Fräulein Romitschka ihrer blauen Reisetasche zugewandt, um sich etwas Parfüm aufzulegen, klopfte es zaghaft. Erst meinte sie, sich verhört zu haben. Aber da war es wieder...!
Sie legte das Parfümfläschchen zur Seite und öffnete vorsichtig die Türe einen schmalen Spalt breit.
Eine junge Frau sah sie mit großen Augen an. Über den Kopf hatte sie sich ein dunkles Tuch geworfen. Sie wollte nicht erkannt werden.
„Madame Dolly, bitte...!“, flüsterte sie.
„Ich bin nicht Madame Dolly!“, antwortete ihr Fräulein Romitschka entrüstet, bereit die Zimmertüre mit Gewalt zu schließen.
Doch die junge Frau ließ sich nicht abweisen.
„Geben Sie ihr das. Sie weiß Bescheid“, flüsterte sie und schob ein kleines Bündel durch den offenen Türspalt.
„Nein...!“, wehrte sich Fräulein Romitschka, nichts Gutes ahnend, „...bitte, ich bin nur Gast hier, behalten sie das, was immer es auch ist. Danke vielmals. Vielen Dank auch!“
Doch sie hatte keine Chance. Eilig legte die junge Frau das Bündel auf den Boden und verschwand.
„Halt! Warten Sie! So geht das nicht!“, rief ihr Fräulein Romitschka noch nach. Aber es war zwecklos. Die geheimnisvolle Unbekannte war längst auf und davon, auf ewig verschollen in den stinkenden Gassen des Krätzeviertels.
Das Bündel zu Fräulein Romitschkas Füßen fing leise an zu quieken: Es war ein Baby. Und es hatte Hunger.
Vorsichtig, aber voller Staunen betrat Felix von Flocke die ‘Neue Welt’. Es war ihm, als wäre er in das Innere eines merkwürdigen Bienenstocks geraten. So einen Trubel, so einen Lärm hatte er noch nie erlebt. Wo er auch hinsah, überall lauerte lichtscheues Gesindel. Junge Burschen mit geknoteten Halstüchern strichen zwischen den Tischen umher, vorbei an frech dreinschauenden Frauen. Alle Arten von Nachtgespenstern und Ganoven folgten mit ihren Blicken Felix und spähten ihm voller Neugier hinterher, wägten ab, ob es bei ihm etwas zu holen gäbe.
In den Ecken ruhten sich Vagabunden und andere Heimatlose aus, hingestreckt wie alte Gäule, die längst keine Peitschenhiebe mehr fürchteten. Welchen Streich sollte ihnen das Leben noch spielen? Schlimmer konnte es für sie doch nicht mehr kommen. Niemand nahm von ihnen Notiz. Und als Felix ihnen zulächelte, lächelten sie unsicher zurück und streckten ihm ihre dürren Arme entgegen, voller Hoffnung auf ein kleines Almosen oder Essensabfälle.
An langen Tischen wurde gewürfelt, getrunken und gestritten. Dazwischen bewegten sich mit großer Geschicklichkeit die Servierkräfte, beladen mit Tellern und Gläsern, ihre Geldtaschen prall gefüllt.
Ständig war Felix jemandem im Weg. Er wurde herumgeschubst, angerempelt und gestoßen, wie ein lästiger Hund. Ihn aber störte das alles wenig. Essensduft stieg in seine Nase und er verspürte einen gewaltigen Hunger. Ihm wurde schwindelig. Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen, als würde ein Karussell langsam Fahrt aufnehmen. Felix fing an zu taumeln und beinahe wäre er hingefallen, hätten ihn nicht zwei Dienstmädchen im letzten Moment aufgefangen und an ihren Tisch gezogen.
„Komm’ Kleiner, bei uns is’ noch Platz!“, rief die eine, Ottilie, aus.
Felix setzte sich zu ihnen auf die Bank, froh darüber, endlich einen Platz ergattert zu haben.
„Mein Name ist Felix von Flocke!“, stellte er sich höflich vor.
„Ein echter Graf, ich werd’ nich’ wieder!“, jubelte Ottilie übertrieben los.
„Musst uns aber auch
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