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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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Er fühlte sich nicht verfolgt. Baptist dagegen sah so oft zurück, wie er konnte. Er war vorsichtig, hatte Angst, er könnte durch sein Verhalten den Kardinal darauf aufmerksam machen, dass Felix ihnen dicht auf den Fersen war.
    Die meisten Gestalten, die ihnen entgegenstolperten, grüßten den Kardinal mit Ehrfurcht und Respekt. Der aber erwiderte kaum einen Gruß, er hielt Abstand zu dem gemeinen Volk, auch wenn das in den überfüllten Gassen nicht leicht war. Besonders die Kinder schienen vor dem unheimlichen Mann Angst zu haben. Felix entging das nicht.
    Nahe dem Kanal, dort wo die Lagerhäuser und Schuppen endeten, stand das Ballhaus ‘Zur Neuen Welt’. Dort kamen sie jetzt an.
    Vor langer Zeit war auch die ‘Neue Welt’ ein Lagerhaus für Brennholz, Holzspäne und Packstroh gewesen. Irgendwann einmal hatte es dann Otto Watzke zu einem Tanzpalast umgebaut. Arbeiter, Dienstboten, Soldaten, Köche, Scherenschleifer, Müllkutscher und Wäscherinnen verkehrten im Ballhaus, um hier für ein paar Stunden ihr hartes Leben hinter sich zu lassen. Sie tranken Bier, sie lachten und tanzten Polkatänze und lachten noch mehr, manche hielten bis zum Morgengrauen durch.
    Dabei ließen sie ihren kümmerlichen aber kostbaren Lohn bei Otto Watzke. Der verlangte Geld für schale Getränke oder einen Teller wässriger Erbsensuppe, in der sich ab und an, wenn man Glück hatte, ein Krümel Speck fand.
    Watzke wurde reich und immer reicher, nur weil es Menschen gab, die ihr tägliches Elend vergessen wollten. Gleichzeitig stieg durch den Verlust ihrer Groschen das Elend der Besucher der ‘Neuen Welt’ ständig an. Quasi mit jedem neuen Lachen waren sie dem Wirt etwas schuldig.
    Wie oft sind schon Gäste von Watzke betrunken in den Kanal gefallen, oder waren kurz davor, so zu enden? Für viel zu viele von ihnen kam jede Hilfe zu spät. Ihr Leben war endgültig vorbei. Entweder hatten sie sich selbst gerichtet, oder der Suff half nach, mit einem Schubs in die kalte Flut.
    Andere haben sich für eine Nacht verliebt. Junge Mädchen wurden schwanger und jede wusste, wo sie das unerwünschte Neugeborene gefahrlos abgeben konnte: im Hotel Giraffe , in die Hände von Madame Dolly, der Frau mit der silbernen Taschenuhr.
    Die verkaufte die kleinen Würmer angeblich in alle Welt. Die blonden unter ihnen sogar bis nach Arabien, erzählte man sich im Krätzeviertel. Diese Geschichten halfen den trauernden Müttern. So suchten sie nicht mehr in den Gesichtern der Kinder, die ihnen begegneten, nach denen ihrer eigenen.
    Felix blieb vor dem ehemaligen Lagerhaus stehen und las den Schriftzug über dem Eingang: ‘Die Neue Welt – Otto Watzke’. Sofort fiel ihm wieder ein, wo er den Namen schon einmal gelesen hatte: auf der Bierflasche, die im Garten seines Elternhauses gelegen und so unheilvoll nach Benzin gestunken hatte. Felix wusste, dass er hier die Brandstifter finden würde, er wusste, dass hier die Lösung für das Rätsel der schrecklichen Tat lag.
    Baptist und den Kardinal hatte Felix längst aus den Augen verloren. Aber ihm war auch so klar, dass er am Ziel war. Er hatte die beiden noch zum Hintereingang des Gebäudes gehen sehen. Das reichte ihm.
    Die Vordertüre zur ‘Neuen Welt’ ging unermüdlich auf und zu. Die Menschen drängelten in beiden Richtungen, die meisten wollten jedoch in das Lokal hinein.
    Felix hielt Abstand. Er versteckte sich hinter einer Hausmauer und überlegte, wie er am besten in das Tanzlokal kommen könnte. Da er noch viel zu jung für so einen Ort war, ging das wohl nicht unbemerkt. Kinder waren in solchen Vergnügungsstätten nicht erwünscht. Sie lenkten nur ab vom betäubenden Spaß.
    Ein Mann trat vor die Türe, mit einem kugelrunden Bierbauch und einer riesigen Zigarre. Er trug einen karierten Anzug und zog immer wieder eine goldene Uhr aus seiner Westentasche, die er nachdenklich betrachtete, bevor er sie wieder verschwinden ließ. Er schien nervös zu sein und auf jemanden zu warten. Immer wieder strich er mit der Hand durch seinen mächtigen Schnurbart und zwirbelte die Bartspitzen himmelwärts. Ganz so, wie es der Kaiser zur Mode gemacht hatte. Ungläubig sah der Mann auf zum Himmel. Dort türmten sich mehr und mehr Gewitterwolken und Donner grollte aus der Ferne. Unheil braute sich über der Stadt zusammen.
    Eine Bedienung kam aus der Türe.
    „Otto!“, rief sie genervt, „Was is’ denn nu’ mit dem Schmalzfass?“
    „Ich komme gleich. Verzieh dir!“, schnauzte Otto Watzke die Kellnerin

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