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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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Hermine und Ottilie setzten sich wieder zu Felix. Sie waren völlig aus der Puste von der Tanzerei. Mit gierigen Schlucken tranken sie ihre Biere. Wild pochten ihre Herzen.
    Nur auf der Bühne erstrahlte noch Licht. Der Rest der ‘Neuen Welt’ lag im Dämmerschein. Der Vater und der Großvater gingen mit ihren Instrumenten von der Bühne und ließen Esther mit ihrer Geige allein zurück.
    Felix sah wieder zur Loge mit der Kaiserin hoch. Deren Blick war nun auf die Bühne gerichtet. Der Schleier hatte ihr Gesicht völlig freigegeben, in der Hand hielt sie ein weißes Taschentuch.
    Otto Watzke trat auf. Er hatte einen Stuhl in der Hand. Den stellte er jetzt am Bühnenrand ab. Sein Gesicht war ernst. Er legte seine Pranke auf Esthers Schulter.
    „Herrschaften, alle auf die Plätze... Wenn keine Ruhe herrscht, geht es auch nich’ weiter im Programm. Jeder auf seinen Platz!“, kommandierte er.
    Die Leute gehorchten. Kein Murren war zu hören. Selbst die härtesten Burschen kuschten wie Schuljungen.
    Hermine und Ottilie hatten Felix wieder in ihre Mitte genommen. Beide sahen sich voller Ernst an, der Spaß in ihren Gesichtern war verflogen. Aus ihren Schürzen hatten sie Taschentücher gezogen.
    „Er ist so ein süßer Junge!“, sagte Hermine.
    „So ergreifend!“, antwortete Ottilie über den Kopf von Felix hinweg. „Die Tränen kommen von ganz alleine...!“
    Felix war klar, dass sie nicht ihn meinten. Sie sprachen von jemand anderem.
    Als alle wieder auf ihren Plätzen waren und wie in der Kirche eine andächtige Ruhe einkehrte, verließ Watzke die Bühne. Esther blieb wo sie war.
    Aus dem Dunkel tauchte ein roter Handschuh auf: Der Kardinal trat mit Baptist an der Hand ins Licht. Niemand wagte es mehr, zu sprechen.
    Der Kardinal führte Baptist zu dem Stuhl am Bühnenrand und ließ ihn dort Platz nehmen. Esther lächelte Baptist an. Aber Baptists Gesicht blieb regungslos, sein Blick in die Ferne gerichtet. Felix hatte das Gefühl, die Last der gesamten Welt würde auf den Schultern des Jungen ruhen.
    „Leute, seht zu Baptist. Höret, wie er mit Zungen spricht, vom Feuer zerteilt...!“, donnerte die Predigerstimme des Kardinals von der Bühne. „Ja, er spricht auch mit den Seligen und den Engeln im Himmel. Er sagt euch, was werden soll. Erlebt selbst, wie er die letzten Schleier zu Wahrheit und Gewissheit durchdringt. Alle seine Gedanken spiegeln sich ab jetzt nur noch in göttlichem Licht.“
    Der Kardinal legte behutsam die Hand mit dem roten Handschuh auf den Kopf von Baptist. Ein abgekartetes Spiel, eine Inszenierung, die schon unzählige Male stattgefunden hatte. Seine Augen verwandelten sich zu Dolchen und er brüllte in den Saal:
    „Fürchtet das Unheil nicht! Fürchtet nicht das Feuer eurer Seelen!“
    Im Publikum verlor ein Mann die Fassung. Sein Gesicht war übersät von Warzen, seine Kleidung bestand aus den Lumpen eines Aussätzigen. Er stürzte an den Bühnenrand, menschlicher Sprengstoff.
    „Spuck’ auf meine Warzen, Baptist! Spuck’! Heile mich! Heile mich!“, flehte der Mann. Er schrie, als hätte er für immer den Verstand verloren.
    Sofort eilten zwei kräftige Schankkellner herbei und schleiften ihn hinaus. Danach herrschte eine umso tiefere Stille.
    Felix glaubte, das Lodern von Angst in Baptists Augen zu erkennen.
    „Ich werde dich jetzt verlassen, Baptist, damit deine Seele sprechen kann!“, fuhr der Kardinal mit ruhiger Stimme fort. Der Vorfall mit dem Aussätzigen schien ihn nicht weiter zu stören.
    Bevor sich der Kardinal in den dunklen Teil der Bühne zurückzog, nickte er noch Esther zu.
    Die legte ihre Geige unter das Kinn und setzte jetzt ganz sanft den Bogen auf die Saiten. So entlockte sie der Geige eine leise, traurige Melodie. Zart erklang sie, wie Engelsmusik. Eine Andächtigkeit ergriff die Menschen im Saal. Es war, als hätte sich der Himmel geöffnet und seinen goldenen Strahl aus Licht ins Armenviertel gesandt.
    Felix erkannte die Melodie sofort. Sein Herz klopfte. Es war das Lied der toten Sängerin, es war Sonjas Lied.
    Neben ihm tupfte sich Hermine eine kleine erste Träne aus dem Auge.
    Baptist wirkte wie ein Geist, während er durch den Lichtschein blickte. Er löste eine schwere, drückende Stille im Raum aus.
    Felix sah auf zur Kaiserin, die nach vorne gebeugt und regungslos in ihrer Loge verharrte. Ihr Blick ging wie ein Gebet zu Baptist.
    ‚Deshalb ist sie hier. Wegen ihm...!’, dachte Felix.
    Esther hatte die Geige wieder abgesetzt.
    Stille.
    Eine

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