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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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wollte der Kardinal von Baptist wissen.
    „Die Zeit...! Ist es schon so spät?! Wir sind doch eben erst eingeschlafen, nur ganz kurz... der Tag ist schon vorbei? Das ist mir noch nie passiert!“
    Baptist sprang mit einem Satz aus dem Bett und fiel vor dem wütenden Kardinal auf die Knie.
    „Immer folge ich dem Ruf, immer!“, rief er aus.
    Mit Gewalt schleifte der Kardinal Felix aus dem Bett und ließ ihn auf dem Boden liegen.
    „Wir müssen los, Baptist, die Menschen warten!“, befahl er. Dann drehte er sich noch einmal zu Felix. „Und du...!? Mit dir bin ich noch lange nicht fertig. Wage es ja nicht, das Hotel zu verlassen. – Los jetzt, Baptist!“
    Der Kardinal zog Baptist aus dem Zimmer. Der warf noch einen letzten Hilfe suchenden Blick zurück. Dann war Felix alleine.
    Befreit atmete er auf. Sein Hals schmerzte.
    Vom Treppenhaus her polterte es ein letztes Mal. Dann war es still in der Giraffe . Nur die alten Vorhänge flatterten kraftlos durch die offenen Fenster.
    Vorsichtig spähte Felix hinunter in die Gasse. Der Kardinal hatte Baptist längst losgelassen. Der Junge folgte ihm jetzt, wie ein Hund seinem Herrn. Gierig vor Hunger biss er in einen Apfel, den der Kardinal einer Apfelverkäuferin abgekauft hatte.
    Als hätte er etwas bemerkt, blickte Baptist kurz zurück und sah zum Fenster. Auch die Apfelverkäuferin hatte Felix entdeckt und winkte mit einem blankpolierten Apfel in der Hand zu ihm hoch.
    ‚Ich ihm nach! Ich muss wissen, wohin sie gehen’, dachte sich Felix. Er lief die Treppe hinab und versuchte, Fräulein Romitschka zu wecken. Doch die schnarchte wie ein alter Seebär, nach zehn Flaschen Rum. Es war zwecklos. Felix blieb keine Zeit. Er musste sich beeilen, bevor er den Kardinal und Baptist im Gewühl der Gassen aus den Augen verlor. Vielleicht fand er heraus, was Baptist für den Kardinal tat, warum er ihn brauchte, und wozu er ihn benutzte. Er musste das Geheimnis der beiden kennen, egal, wie groß die Gefahr war, die ihm drohte...

 
    10 .
     
    Kennt ihr dieses alte Kinderlied? Habt ihr es noch im Ohr? Wisst ihr, was es bedeutet? Rückt dicht zusammen. Auch wenn es gruselig und unheimlich klingt, will ich es für euch singen. Hört nur:
     
    „Als ich die Treppe hochstieg,
    traf ich dort einen Mann, der nicht da war.
    Heute war er wieder nicht da.
    Oh, wie sehr ich wünschte, dass er fortginge.“
     
    Jetzt mal ehrlich, wie findet ihr meine Stimme? Nicht schlecht, oder? Gelernt ist eben gelernt. Vergesst das kleine Lied nicht. Wenn ihr Angst habt, singt es vor euch hin, vielleicht verschwindet das Böse dann. Und mit ihm das ständige Bangen. Wohin wir auch immer gehen, ein Funke Angst begleitet uns ständig, jederzeit bereit, in Flammen auszubrechen.
    Seht, dort drüben die ersten Lichter vom Hafen. Hier bin ich zuhause. Hört dieses Plappern und Klappern, hört die Glöckchen an den Mulis der Lumpensammler, hört die Musik der Straße! Sie strömt und fließt unablässig. Folgt ihr und sie tröstet euch. Ein schönes Gefühl und ein kostbares Gefühl. Ich kenne jede Gasse in diesem mächtigen Babylon. Denn jeder ist irgendwo Zuhause, jeder, auch du...
     
    Nicht nur Felix machte sich auf den Weg. Auch auf der anderen Seite der Stadt setzte sich an diesem schwülwarmen Sommerabend eine kleine Gesellschaft in Bewegung. Es waren drei Frauen in langen rabenschwarzen seiden glänzenden Gewändern. Sie trugen Hüte mit dichten Schleiern, sodass niemand ihre Gesichter erkennen konnte. Alle drei sahen aus wie Witwen auf dem Weg zum Friedhof. Das waren sie aber nicht. Scheu wie Rehe verließen sie das kaiserliche Stadtschloss durch den Hinterausgang. Der führte in einen kleinen Innenhof, den die Lieferanten für das Anliefern von Essen, Heizmaterial oder neu verzinkten Töpfen benutzten. Hastig und ohne ein einziges Wort zu sprechen, bestiegen die drei Frauen das Innere einer kleinen eleganten Kutsche. Auch die Kutsche war schwarz, mit blickdichten Vorhängen vor den runden Fenstern. An einer unauffälligen Stelle trug das elegante Fahrzeug das Wappen des Kaisers. Kaum waren die Türen geschlossen, schnalzte der Kutscher mit der Zunge. Schon klapperten die Hufe der zwei Rappen über das Pflaster. Ratternd verschwand der Wagen im allgemeinen Gewühl der Strassen der Stadt.
     
    Derweil folgte Felix den Kardinal und Baptist immer tiefer hinein in das erbärmliche Armenviertel mit seinen schmalen Gassen und düsteren Durchgängen. Der Kardinal drehte sich niemals um. Warum sollte er auch?

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