Das Feuer von Konstantinopel
beschützen, vor den bösen Kerls hier!“, lachte Hermine, die andere der beiden, und zog Felix dichter an sich.
Die Bedienung rauschte an.
„Was macht der Junge hier? Der muss raus!“, schnauzte sie die Frauen an, ohne Felix auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Jetzt halt aber mal die Luft an, Olga!“, empörte sich Ottilie. „Das is’ mein neuer Freund. Ein Graf. Benimm dir!“
Ottilie und Hermine kicherten wie zwei kleine Mädchen.
„Hört auf mit dem Quatsch. Und wenn die Schutzleute kommen!?“, schimpfte die Bedienung weiter und räumte hektisch Geschirr und Gläser zusammen. „Also raus mit dem Bengel!“
Felix hob einen leeren benutzten Teller vom Tisch, hielt ihn ihr entgegen und sagte: „Ich habe Geld!“
„Aha!“, schluckte die Bedienung und nahm den Teller. Er hatte sie völlig aus ihrem Konzept gebracht. Geld klang gut!
Felix zeigte ihr die Münze, die ihm die Kaiserin zugesteckt hatte.
„Erbsensuppe mit doppelt Speck! Dazu eine Scheibe Brot!“, rief er.
Ottilie und Hermine drückten Felix noch fester zwischen sich.
„Bist du schwerhörig, Olga? Oder sollen wir dir das alles auf eine Postkarte schreiben? – Erbsensuppe is’ gewünscht!“, kommandierte Hermine keck.
„...mit Brot von heute!“, setzte Ottilie nach.
„Aber wenn der Teller leer is’, muss er raus! Ich will ja mal nicht so sein!“, keifte die Bedienung zurück und verschwand wieder im Getümmel. Andere Gäste riefen schon ungeduldig nach ihr.
„In der Neuen Welt kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden!“, schwärmte Hermine, als endlich der Teller Erbsensuppe mit doppelt Speck und mitsamt dem Brot vor Felix auf dem Tisch standen.
Mit flinken Fingern zählte Ottilie noch einmal das Wechselgeld nach, das Felix erhalten hatte. Der Junge sollte nicht betrogen werden. Alles stimmte. Sie drückte Felix das Geld in die Hand.
„Pass schön darauf auf! Die Menschen sind schlecht!“, sagte sie und wischte mit ihrer weißen Dienstmädchenschürze emsig den fleckigen Blechlöffel blank.
„Danke!“, sagte Felix und freute sich über so viel Aufmerksamkeit. „Sie sind beide sehr nett und zuvorkommend.“
Ottilie und Hermine kicherten erneut los.
„Haste so was schon mal gehört, Hermi?“, schwärmte Ottilie und rollte mit den Augen vor Glück.
Felix löffelte genussvoll seine Suppe und die beiden sahen ihm dabei zu, als wäre das ein neues Weltwunder.
„Ach, so ein Bübchen hat’ ich auch mal!“, seufzte Ottilie aus voller Brust. Ihr war ganz schwer ums Herz. Hermine aber wollte auf keinen Fall, dass ihre Freundin traurig wurde und boxte ihr aufmunternd mit dem Ellbogen in die Seite.
„Wo is’ die Musike?!?“, rief sie aus und sprang von der Bank auf. Und noch einmal rief sie in den Saal: „Wo is’ die Musike?!?“
Diesen Schlachtruf vernahm man hier nicht zum ersten Mal. Im Nu war die ganze ‘Neue Welt’ auf den Beinen. Der Funke war in Sekundenschnelle übergesprungen, der Saal explodierte förmlich. Es gab nur noch einen Ruf:
„Wo is’ die Musike!?!“
Die Menschen trampelten und klatschen und ein jeder rief so laut er konnte:
„Wo is’ die Musike!?!“
Felix strahlte über das ganze Gesicht. Er ließ sich von der Woge aus Glück und gespannter Erwartung von dem, was jetzt kommen sollte, mitreißen. Er fühlte sich geborgen. In der ‘Neuen Welt’ konnte man leben. Die Erbsensuppe schmeckte und der Speck wärmte ihn von innen wie ein Wannenbad.
Die Sprechchöre hörten nicht auf: „Wo is’ die Musike?!“
Felix sah von seinem Teller auf. Otto Watzke watschelte mit wedelnden Händen auf die Bühne. Er genoss seinen Auftritt sichtlich.
„Leutchen...!“, rief er dem Publikum zu. „Mal langsam. Der Tag ist noch lang und die Nacht noch viel länger!“
Ein ungnädiges Murren schlug Watzke entgegen. Sein Witz war bei den Leuten nicht gut angekommen, die Stimmung drohte zu kippen.
„Aber bitte! Ich lass’ mir nicht lumpen! Das gibt es nur in die ‘Neue Welt’: Sie spielt euch die Polka wie keine andere in ganz Rixdorf, ach was sag ich: in ganz Berlin! Applaus für unsere kleine Esther!“
Jetzt zog ein neuer Orkan der Begeisterung durch den Raum. Die Menschen riefen aus vollen Kehlen. Otto Watzke verließ die Bühne. Dafür erschien ein Mädchen mit zwei schwarzen Zöpfen und trat an den Bühnenrand. Es war so alt wie Felix. In der einen Hand hielt es eine Geige, in der anderen den Bogen. Begleitet wurde Esther von einem Mann mit einem Kontrabass, der ihr Vater
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