Das Feuer von Konstantinopel
Majestät, bitte helfen Sie mir! Retten Sie mich!“, flehte Felix die Kaiserin an.
Die hatte sich mit ihrer Begleitung erhoben und versuchte, die ‘Neue Welt’ so schnell es ging zu verlassen. Sie sah Felix nicht einmal an.
„Lasst den Jungen sofort los! Er hat euch nichts getan!“, rief Esther von der Bühne herab.
Unten im Saal brach endgültig das Chaos aus. Die Menge war wütend darüber, dass die bulligen Kellner auf ein schwaches Kind losgingen. Das empfanden sie als äußerst ungerecht, das war eindeutig gegen ihre Ganovenehre, gegen die Gesetze des Krätzeviertels, in dem ansonsten Gesetze nicht viel galten. Aber auch immer mehr von Watzkes Leuten mischten sich ein und im Nu entbrannte eine handfeste Prügelei in der ‘Neuen Welt’. Während Felix abgeführt wurde, fingen die jungen Männer im Saal an, mit Fäusten aufeinander loszugehen. Jeder gehen jeder. Der Grund für den Aufruhr schien vergessen. Es hieß für die meisten nur noch, ordentlich Dampf abzulassen.
Der Kardinal bugsierte Baptist von der Bühne. Er brachte ihn so schnell es ging in Sicherheit, ganz so, wie man ein zerbrechliches, teures Kunstwerk vor dem rohen Pöbel in Sicherheit bringt.
Esther, das Mädchen mit der Geige, sah von der Bühne aus auf das wogende Meer aus Gewalt.
„Viel Glück, kleiner Felix!“, sprach sie leise zu sich. Dann drehte sie sich weg und rief: „Kardinal, so warten Sie doch!“
In einem Hinterzimmer der ‘Neuen Welt wurde Felix vor Otto Watzke gestellt. Die Kellner hatten ihn losgelassen, bewachten ihn aber weiterhin. Es lag nun an Watzke, wie es mit dem Jungen weiterging.
„Werft ihn in den Kanal! Mit Steinen in den Taschen!“, kommandierte der Wirt wütend.
Die Kellner packten sich Felix erneut. Sie waren es gewohnt, blind zu gehorchen.
„Sie Mörder!“, schrie Felix. „Sie Kindermörder! Lassen Sie mich gehen!“
Watzke warf einen Blick auf Felix und verzog die Mundwinkel.
„Nehmt die schwersten Steine, die ihr finden könnt!“, fügte er hinzu.
In dem Moment ging die Türe auf. Der Kardinal trat ein.
„Halt!“, rief er aus. „Sperrt ihn irgendwo ein, wo er nicht abhauen kann! Na los, macht schon!“
Otto Watzke war ganz verwirrt. „Wozu denn das jetzt? Der Bengel hat mir den ganzen Laden ramponiert! So was gehört weg!“
Doch der Kardinal hörte nicht auf Watzke.
„Tut was ich sage. Aber dalli!“ befahl er. Watzke nickte stumm. Die Schankkellner gehorchten und schleppten Felix mit sich.
Olga, die Bedienung, öffnete die Türe zum Hinterzimmer. Sie war völlig außer Atem und rang um Luft.
„Kardinal, da sind feine Herrschaften, die Sie sprechen wollen!“, stieß sie keuchend hervor und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten.
Der Kardinal strich sich mit gespielter Ruhe den roten Handschuh glatt.
„Dem Jungen wird kein Haar gekrümmt, Watzke! Du persönlich bist mir für ihn verantwortlich! Jetzt, wo wir so kurz vor dem Ziel sind, dürfen keine Fehler passieren. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“, fragte er und verließ mit würdigen Schritten das Zimmer.
Otto Watzke ging auf und ab. Seine Zigarre qualmte vulkanartig. Mit nervösen Fingern suchte er nach dem Taschentuch in seiner Hosentasche.
„Unverschämt! Was ist denn nu mit meiner Existenz? Der halbe Laden is’ zu Bruch gegangen!“, schnaufte er wie eine Dampflokomotive, die rückwärts einen Berg hochfahren musste.
11.
Aufgepasst und hereinspaziert in die Stadt der tausend Lügen, in die Manege der Diebe, Gaukler, Bauchredner und Akrobaten! Hasen tanzen zum Tamburin für euch, dressierte Affen spucken Kerne um die Wette und Ratten bekämpfen einander gegenseitig bis aufs Blut – hereinspaziert in die Welt der Illusionen und der Grausamkeiten. Es gibt so viel zum Staunen und Wundern. An jeder Ecke könnt ihr etwas finden, das euch mitreißen und nicht mehr loslassen wird. Oh, wenn wir erst an Land sind, will ich euch gerne alles zeigen. Ich kenne die Plätze, an denen das alles passiert. Denn die eigentlichen Abenteuer spielen sich auf der Straße ab. Vergesst die Theater mit ihren Bühnen. Dort welken Geschichten nur so vor sich hin, müde geworden über die Jahre. Vertrocknet im Glanz der Scheinwerfer. Ihr fragt, wo die Forelle wohnt? Ich sage es euch: Bestimmt nicht im Kochtopf!
In einem der muffigen Keller der ‘Neuen Welt’ war Felix von Watzkes Schankkellnern eingesperrt worden. Sie hatten ihn hinter einen Lattenverschlag gezerrt und den mit einem Vorhängeschloss
Weitere Kostenlose Bücher