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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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sein, konnte jedoch nicht verhindern, daß seinem Mund ein
anerkennendes Zischen entrann und seine Hände leicht zu zittern begannen, als
sein Auge vom Zigarettenende mit der Zündholzflamme zu ihrem Oberkörper abirren
mußte. Und nun wußte unsere junge Dame von Welt nicht, ob sie ihre Brust besser
einziehen oder herausstrecken sollte. Sie tat also weder das eine noch das
andere, wurde rot und verabschiedete ihn hochmütig mit einer flüchtig-dankenden
Geste. Sie überwand ihre Verlegenheit, indem sie abwechselnd aus dem Täßchen
nippte und, mit dem Ellbogen auf der Stuhllehne lässig aufgestützt, aus der
Zigarettenspitze lustige Wattebäuschchen von Rauch in die Luft paffte, so wie
sie es von Lia de Putti und Mae Murray im Kino gelernt hatte. (Eine spätere
Zeit wird vielleicht feststellen, daß sich diese gegen jahrhundertealte
Vorstellungen rebellierende Jugend recht geziert benahm und in Klischees
verfiel — aber ist nicht das Schicksal jeder Revolution die Doktrin, die
Masche, das Klischee, Synonyme für ein und dieselbe Sache?)
    Unsere junge Tänzerin wandte sich
dem Panorama zu, das sich ihr jetzt, zur Teestunde, vollentfaltet darbot: zu
den Heerscharen der wilden Mädchen von Ascona, diesem ameisenhaften Gewimmel,
das ein Durcheinander schien und doch bei näherem Zusehen betriebsamer Planung
nicht entbehrte. Wie ein erfahrener Troupier nicht der Epauletten und der
Aufschläge bedarf, um Truppenteil und Waffengattung eines Soldaten auch ohne
Uniform zu bestimmen und den Gardekürassier vom Leibhusaren selbst im Zivil
unterscheiden kann, oder wie der »alte Herr« einer Studentenverbindung nicht
den Bierzipfel oder das Signet benötigt, um einen Corpsbruder oder das Mitglied
einer anderen Burschenschaft des Cösener Convents zu erkennen, so las unser
junges Mädchen in dem vor ihren Augen aufgeschlagenen lebenden Almanach der
modernen Tanzkunst wie in einem offenen Buch. Hier waren die asketischen
Schülerinnen der Mary Wigman, gotische Ekstatikerinnen, Barlachfiguren, wie aus
Holz geschnitzte strenge Antlitze mit hohlen Wangen, und was ihnen an Anmut
fehlte, ersetzten sie durch die Magie ihrer Körperausstrahlung. Da hatten die
Anhänger Rudolf von Labans die liebenswürdige Urbanität angenommen, die auch
ihren Meister, den Sproß des habsburgischen Vielvölkerstaates auszeichnete. Da
war das Gefolge Mensendieks, Leichtathletinnen und den spartanischen,
schenkelzeigenden Turnerinnen ähnlicher als leichtfüßigen Tänzerinnen, da
zeigte sich die Gemeinde von Hellerau gleich einer rhythmisch-beschwingten
heiteren Kinderschar beim Spiel, während die Adeptinnen der Isadora Duncan in
langen weißen Gewändern mit Blumenkränzen im Haar schönheits-suchend barfuß
fürbaß schritten und nur durch den regen Gegenverkehr daran gehindert waren,
die Reigenkette eines griechischen Tempelfrieses zu bilden. Dagegen benahmen
sich die Anhänger Lohelands eher wie domestizierte Mänaden und Bacchantinnen.
    Bianca wurde in der Betrachtung
abgelenkt durch einen Mann, der an einem wenig entfernten Tisch Platz genommen
und sie offensichtlich schon längere Zeit betrachtet haben mußte. Natürlich
bemerkte sie, daß sein milde spöttisches Lächeln sie betraf, daß sein Anzug gut
geschnitten war, was in dieser Bohemewelt eine Ausnahme darstellte, daß er
recht ansprechend aussah — was ihm aber kein Recht geben würde, sie
anzusprechen — , daß er jung war, etwas von einem Korsaren, Freibeuter oder
Piraten an sich hatte, dies alles — und einiges andere bemerkte sie aus
gelegentlich schrägen Augenwinkeln, aber sie nahm es natürlich nicht zur
Kenntnis — oder sie nahm es zur Kenntnis, bemerkte es natürlich aber nicht — ,
denn wer kennt sich schon in der blitzschnellen Beobachtungsgabe eines jungen
Mädchens aus. Jedenfalls quittierte sie ihre Feststellungen über seine Person
auf alle Fälle mit einem knappen Ausdruck abschätziger Verachtung, zu welchem
Behufe sie die Augenbrauen hob — oder wie immer man das nennen wollte, was
davon übrig geblieben war — , denn sie hatte sie natürlich sorgfältig
ausgezupft.
    Seltsam, so begann sie zu
sinnieren, seltsam dieser große Anteil der Schweiz an dem sogenannten Deutschen
Ausdruckstanz, der die körperlich organisierte Bewegung nach der
Säkularisierung und Profanation von Jahrhunderten wieder zu einer Religion
machte. Dalcroze war Schweizer, die Palucca Schweizerin, die Trümpy, die
Geschwister Heidi und Trudi Schoop. War das so, weil diese neue Tanzform

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