Das Filmbett
schalldichten Kamera, der breite bayrische Vorstadtdialekt des Mädchens, die einfallslose dauernde Wiederholung der gleichen Wörter und Ausrufe, die Hilflosigkeit, mit der sie etwas auszudrücken versuchte, was sie gar nicht empfand - eben all das, was durch Synchronisation ausgemerzt werden sollte -, das entnervte sie.
»Stellen Sie doch diesen gräßlichen Ton ab«, rief sie wütend - und man entsprach etwas verdutzt ihrem Wunsch.
»Aufnahme bitte«, sagte sie.
»Ja, aber brauchen Sie nicht noch einige Durchläufe - zum Proben ... der Take ist ziemlich lang und recht schwierig ...« meinte der Produktionsleiter.
»Quatsch«, sagte sie, »Aufnahme!«
Ohne weitere Widerrede wurde der komplizierte Aufnahmemodus in Gang gesetzt: »Bild läuft ...«»Ton läuft ...« grüne Lämpchen wechselten mit roten ... »Fünfunddreißig die Erste ...« die üblichen Piepser ... tausendfach gegebene Kommandos, tausendfach ausgeführt ...
Etwas weniger albern nahm sich jetzt das amateurhafte Getue der beiden auf der Projektionswand aus.
Aber mit dem Erscheinen des Bildes hatte sich Brigitte Maria über das Mikrophon gebeugt, den Blick fest auf die Leinwand fixiert und fast ohne die Stimme zu heben, begleitete sie das Geschehen mit Seufzern, Exklamationen, gehauchten Zwischentönen, Zungengeräuschen, Vokabeln und anakoluthischen Satzteilen, mit leichten Schlägen der Fingerspitzen auf dem Handrücken oder die Wange illustrierte sie bravourös das Aufeinanderklatschen der Körper, sie begann sich zu steigern, wobei sie mit professioneller Routine nicht vergaß, etwas vom Mikrophon zurückzutreten. Sie bereicherte das triviale Geschehen mit einer solchen Vielfalt von exklamatorischen und verbalen Nuancen, daß es auf einmal wirkliches, dreidimensionales Leben gewann.
Als der Take abgelaufen war, jubelte der Synchronregisseur aus der Tonkabine ein begeistertes »Gestorben!« durch die Sprechanlage und die Leute im Studio applaudierten.
Der Regisseur flüsterte dem Toningenieur zu: »Wenn die nur halb so gut auf der Leinwand ist wie vor der Leinwand, dann Gute Nacht, dann ist sie ein As!« Aber da er vergessen hatte, den Hebel des Saalmikrofons zurückzudrücken, erschallte ihr Lob laut im Synchronstudio. Brigitte Maria ignorierte indes das impulsive Kompliment und sagte schlicht: »Kann ich den nächsten Take haben, aber gleich ohne Ton bitte, der stört mich nur!«
Der Tag wurde ein Triumph für sie. Sie besprach nicht nur diesen jungen Nackedei, der lediglich eine Nebenrolle spielte, sondern auch einige andere in abgewandelten Situationen, mit wechselnder Tonlage, differentem Ausdruck und unterschiedlichem Sprachschatz.
Ihr Renomme verbreitete sich in der einschlägigen Branche blitzschnell und nicht nur in dieser. Auch seriöse und avantgardistische Filme hatten ihre Bettszenen.
Niemand dachte mehr daran, die Meier-Eschwege etwa Frigittchen zu nennen. Daß eine übelwollende Kollegin sie mit dem Beinamen »die Orgasmusmieze mit dem Strickstrumpf« apostrophierte, berührte sie kaum. Tatsächlich war sie zwischen den Aufnahmen von ihrem Strickzeug nicht zu trennen, ja sie strickte bei einfachen Takes über dem Pult am Mikrophon weiter, lautlos, ohne durch das Aufeinanderklirren der Nadeln die Tonqualität zu stören. Nur bei komplizierteren Vorgängen sank die Handarbeit gleichmütig auf die Pultplatte.
Sie war vielgefragt und hatte ausreichend zu tun. Zeitweise war sie ausgebucht. Zu den deutschen Hervorbringungen, den Report-Serien, kamen englische, amerikanische, ja griechische Produktionen. Von den skandinavischen ganz zu schweigen.
Als ihr ein erfolgreicher Pornoproduzent einen Heiratsantrag machte, lehnte sie ohne zu zögern ab. Sie kannte das Schlitzohr, sie hätte dann umsonst arbeiten müssen und ihre Gage wäre in die Firma geflossen. Dies aber widersprach ihrem nüchternen Hausfrauendenken.
Für ihre Kinder hatte sie nun ein eigenes Kindermädchen und gelegentlich wurden sie ihr zum Arbeitsschluß in den Aufenthaltsraum des Studios gebracht. Hier saßen sie dann wohlerzogen, um auf Mutti zu warten.
Wieder ist vorzeitiger Drehschluß, denn sie arbeitet prompt, präzis und schnell. Sie geht in den Erholungsraum zu ihren Kindern, die sie stürmisch begrüßen. Da kommt der Aufnahmeleiter herbeigewieselt: »Frau Meier-Eschwege, wir haben ja die Masturbationsszene vergessen, bei der vorhin das Bild riß!«
Brigitte Maria zieht für jedes ihrer Kinder ein Langnese-Eis aus dem Automaten, streicht ihnen
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