Das Filmbett
bevorzugten, die Damen trugen vorwiegend sommerliche Herrenkostümjacken über den kurzen Röcken und das Monokel im Auge. Blanche kannte den Typ - der berühmte Karikaturist Simmel, der Schöpfer des »Herrn Raffke«, des Inflationsgewinnlers, hatte diese modische Personifikation der emanzipierten Garconne, des weiblichen Snobs und vermännlichten Blaustrumpfs als »Fräulein Grete« dem Gelächter preisgegeben. Und wenn sie sich nicht irrte, wöchentlich in jener »Berliner Illustrirten« (ohne ie). Offenbar waren hier die geistige Elite, die Intelligenzbestien der Zeit- und Wahlbürger Asconas versammelt.
Und rasch war auch die lebhafteste Diskussion im Gange.
Blanche fühlte sich plötzlich sehr allein.
Zwar, man bot ihr Erfrischungen an, versorgte sie mit kleinen Appetitshäppchen, aber man nahm sie darüber hinaus kaum zur Kenntnis. Doch langweilte sie sich beileibe nicht, denn was hier verhandelt wurde, ging auch sie etwas an. Nur - sie mußte sich sehr zusammenreißen, um alles zu verstehen. Sie war Fachsimpelei gewöhnt - gerade Tänzer sind mit ihr nicht sparsam. Aber was man hier von sich gab über etwas, das ihr die Brust sprengte, war so differenziert, des Lobes voll und der Kritik nicht entbehrend, mit feinem Wenn und Aber in einen kunstvollen Bau von Fremdwörtern und Formulierungen eingebracht - das war ihr neu und erschreckte sie tief. Verschüchtert drückte sie sich in einen Polsterstuhl in einer Ecke und zog die Beine unter sich.
»Natürlich ist der anthroposophische Gehalt ...«
»Die Emanation der Geist-Körper-Seele ...«
»Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären ...« (Das war von Nietzsche.) »Tanzen ist ein Gebet mit den Beinen ...«(Das war wiederum von Heine, das wußte sie genau.) »Zu wem betet man ohne Gott ...?«
»Die Metaphysik der ungezwungenen Disinvoltura ...«
»Zugegeben, aber vergessen Sie nicht die Transzendenz des dithyrambischen Rausches ...«
»... und das Archaisch-Autochthone?«
»... die embryonale Urbewegung.«
»... Sie meinen Rückerinnerung in vaginale Vorzeit ...«
»... Selbstvergessen ...«
»... nein, Entäußerung ...«
»... wo denken Sie hin - Einkehr zu sich ...«
Die Worte schwirrten um ihren armen Kopf wie Kolibris um einen tropischen Strauch.
Als eine arrogante Frauenstimme vernehmen ließ, der moderne Tanz sei die endgültige Befreiung der Frau aus den Sklavenketten einer feudalen Männerherrschaft, es sei die Carmagnole, das ca ira des befreiten Weibtumes, mit der man das Patriarchat endlich ablöse, und sich an den Gastgeber wandte: »Finden Sie nicht auch, mein lieber Herr Prinz?« hörte sie in der eintretenden Stille die mokante Entgegnung: »Meine Gnädigste, ich kann dazu nur dem beipflichten, was der erste Preisträger auf die Scherzfrage meines Blattes › Was sagen Sie zu Fräulein Grete?‹ meinte - es war natürlich ein Berliner, und die preisgekrönte Antwort durfte leider nicht veröffentlicht werden, sie lautete: ›Laß man, gegen die Wand pinkeln kann se doch nicht!‹«
Gelächter und verlegenes Schweigen.
»Er war des trockenen Tones satt, muß wieder mal den Teufel spielen«, sagte die Rothaarige und nahm natürlich ihren Geliebten in Schutz. Aber Blanche mußte doch in sich hineinkichern. Dieser Berliner hatte es den Gewitterziegen und Snobs gegeben. Der sprach mit dem untrüglichen kritischen Gefühl und ohne Umschweife, so, wie die alten Bühnenarbeiter, denen man auch nichts vormachen konnte und die ein sicheres Urteil dafür hatten, was verlogen und was echt war.
Jemand versuchte das Thema wieder aufzunehmen: »Du bist ein Scherzbold, Al, und ein unverbesserlicher Zyniker. Aber im Ernst, was sagt der Fachmann zu dem Phänomen des modernen Ausdruckstanzes? Los, drück dich aus, Al.« (Also Al konnte man ihn nennen - ja, das war gut, das ging an.)
»Die Palucca ist eine große Künstlerin - darüber braucht man kein Wort mehr zu verlieren ...« (Sie liebte ihn, ja sie liebte ihn schon.) »Aber was Ihr da verzapft, ist die größte Scheiße, ist gequirlte Schifferscheiße, meine Lieben. Wahrlich, ich sage euch, der ganze Ausdruckstanz ist in Gefahr, in eine ausweglose Sackgasse zu geraten ... (Sie haßte ihn -hatte ihn von Anfang an gehaßt.) »Sicher wird er in die Tanzgeschichte eingehen als der große Bastillensturm gegen ein erstarrtes, verrottetes Tanzregime ...«(vielleicht liebte sie ihn doch ein bißchen?)»... das sich nicht aus sich selbst heraus erneuern konnte. Als
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