Das Filmbett
Elementarereignis war er so notwendig wie La Grande Revolution - und ist es noch -, aber wie lange noch? Tanz ist eine vielfältige, unteilbare Einheit, und ihn in Tortenstückchen zu schneiden und zu verteilen ... in Schulen und Richtungen, dieser Regionalismus, Föderalismus und -Provinzialismus ist schlicht zum Kotzen. Diese Gruppen und Grüppchen werden die Ganzheit des Tanzes genauso zerbrechen, wie die Parteienklüngel unseren Staat zerstören werden. Das klassische Ballett verdorrte an seinem Formalismus, an den Klischeefolgen seines Schrittfundus von Arabesque und Entrechats und Port de bras und Attitudes...« (sie liebte ihn.)»... aber ich sage euch, der Ausdruckstanz wird jämmerlich krepieren an seinen Seelenblähungen ...« (sie haßte ihn)»... an der Selbstüberheblichkeit, mit der sich hier eigene Komplexe wichtig machen ... an der permanenten Onanie mit privatesten Gefühlen« (sie haßte ihn sehr) »... wenn ich so sehe, was da alles tanzen zu müssen glaubt, sich berufen und auserwählt dünkt, höhere Töchter, die früher ›Das Gebet einer Jungfrau‹ am elterlichen Pianino sangen und heute ihre Keulen schwingen, aus seelischer Not und als körperliche Ersatzbefriedigung ...« (er ist abscheulich, infam) »... diese weiblichen Derwische, die mit schwarzen Füßen ihre Weltanschauung, oder was sie dafür halten, in den Boden stampfen ... und dazu dann eure Intellektualisierung des Emotionellen, die metaphysische Mystifikation ...« Als sich einige Hohos! und schrille Entrüstungsrufe bemerkbar machten, verschaffte er sich mit einer knappen Geste wieder Ruhe.
»Wir alle hier sind tief beeindruckt von der neuen bildenden Kunst in Frankreich. Dieser Pablo Picasso zum Beispiel hat sich von seinen anämischen traurigen Harlekins in blau und rosa abgewandt - und mit welcher Kühnheit hat er verstanden, die Natur zu denaturieren - oder Bracque. Wir sind begeistert von dem Bürgerschreck Strawinsky oder von Paul Hindemith. Wir lieben Poulenc, Milhaud, Honnegger, Satie und sind stolz auf ihre und unsere Modernität. Aber wofür schrieben sie, für wen machten die Maler Bühnenbilder, entwarfen sie Kostüme, für wen entstand Petruschka, Pulcinella, Sacre du printemps, Apollon musagetes, Feuervogel, der Dreispitz? Für das russische Ballett Diaghilews, für Nijinski und die Karsawina. Die modernste Moderne arbeitet für die Kunst von Gestern. Gibt das nicht zu denken? Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur ... Die Zertrümmerer überkommener Formen und Gesetzestafeln schaffen Neues, Unerhörtes für die alten Formen und Codici ... Ich sage euch, das kommt nicht von ungefähr. Eine Synthese ist unvermeidlich. Der Ausdruckstanz muß das Ballett zurückgewinnen, das Ballett muß in den Ausdruckstanz eingehen, so wie sich der Volkstanz, die Folklore in den Kunsttanz integriert hat. Kein anderer Weg kann uns weiterführen ... Hugh! Ich habe gesprochen!« - Er stürzte ein Glas Wein hinunter.
Die allgemeine Reaktion auf seine Ausführungen war zwiespältig. In erster Linie war man wohl - wie so oft auf solchen Gesellschaften - unwillig, daß man selbst so wenig zu sagen hatte. Man debattierte noch einige Zeit ruhiger weiter, löste sich in Gruppen auf, die meisten gingen bald darauf nach Hause. Die Rothaarige hatte eine Platte von Poulenc, »Les Bîches«, aufgelegt - aber die Lust zu hören war erloschen. Blanche war noch immer wie benommen.
Doch mit einemmal - die Räume waren schon fast leer -, streifte sie ihre Schuhe von den Füßen, stand auf, und wie in schlafwandlerischer Trance begann sie zu tanzen, nur einfach zu tanzen, still vor sich hinzutanzen und ohne sich um irgendwelche Zuschauer zu kümmern. Sie tanzte, während die Rote die Platten wechselte, tanzte ohne Programm und ohne Aussage, sie tanzte, weil sie tanzen wollte, frei von Schule und Dogmatik, frei von Regel und Gesetz - und es war wie das Atmen der See, der Wellenschlag des Blutes, der Wandel der Gestirne, der Herzschlag von Blatt und Blume.
Es war die Kunst der reinen Natur.
Und als sie zu Ende getanzt hatte und dastand mit gesenkten Armen und geneigtem Kopf - hatte Al seinen letzten Gast still hinausgeführt und war mit der Rothaarigen allein. »Das war sehr schön, Blancheneige«, sagte er. »Vergiß alles, was ich gesagt habe.«
»Du mußt sie nach Hause bringen«, meinte die Rothaarige leise. Blanche aber schüttelte den Kopf und sagte: »Ich habe kein Zuhause. Laßt mich bei euch.« - Da brachte die Rothaarige
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