Das Finale
Querstraße auf der Rückseite des Landesverwaltungsamtes.
Frauke warf einen routinemäßigen Blick durch die Fenster des Friseurgeschäfts
an der Straßenecke. Vor einem Spiegel saß eine Frau und beobachtete darin den
Figaro, wie er sich an ihrer blonden Haarpracht zu schaffen machte. Offenbar
waren Kundin und Meister in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Wenig später
standen die beiden Beamten vor der zerschrammten Haustür.
In dem Haus befanden
sich mehrere Mietwohnungen. Einer der Klingelknöpfe war mit einem billigen
Prägeklebeband ausgeschildert: »Pension Favorit«. Es dauerte eine Ewigkeit, bis
der Summer ertönte. Ein schmaler Gang, der halbhoch mit dunklen Fliesen
gestaltet war, führte zur knarzenden Treppe. Im Treppenhaus roch es nach Essen,
nicht verbrannt, aber die Küchendünste störten Fraukes Empfinden. Sie mussten
die hölzerne Treppe bis zur zweiten Etage emporsteigen. Dort fanden sie auf
einem an die Tür geschraubten Schild den Hinweis auf die Pension. Erst nachdem
sie erneut geklingelt hatten, öffnete ein Mann die Tür und sah sie aus
verschlafenen Augen an.
»Schmidtke?«, fragte
Frauke. Es klang unfreundlich.
»Was ist?«,
erwiderte der Mann mit einer Gegenfrage und wischte sich die langen Haare aus
dem Gesicht. Er hatte einen blassen Teint. Die dicht an der schmalen Nase stehenden
Augen musterten die beiden Beamten.
»Sind Sie
Schmidtke?«
»Warum?«
»Wir möchten zum
Hotel«, mischte sich Putensenf ein.
»Ausgebucht«, sagte
der Mann und wollte die Tür wieder schließen.
Putensenf hatte
seinen Fuß dazwischengestellt.
»Polizei«, sagte er.
»Machen Sie keinen Zirkus. Wir wollen mit Ihnen reden.«
»Warum?«
»Das erzählen wir
Ihnen drinnen«, antwortete Putensenf und drückte vorsichtig gegen die Tür.
Schmidtke leistete keinen Widerstand.
Frauke sah sich im
Flur um. Alles wirkte düster und schäbig.
»Wohin?«, fragte
sie.
Schmidtke zeigte auf
eine Tür mit Milchglaseinsatz. Dahinter lag sein Aufenthaltsraum. Ein
Kleiderschrank, dem die Holzmaserung mittels einer Kunststofffolie verpasst
worden war, ein zerschlissenes Sofa mit einer Wolldecke, ein Tisch, auf dem
eine aufgerissene Chipstüte, ein halbes trockenes Brötchen sowie eine
Thermoskanne und eine benutzte Tasse standen, zwei unterschiedliche Sessel und
eine Anrichte, auf der ein moderner Fernseher lief, bildeten die trostlose
Einrichtung.
»Komfortabel«,
lästerte Frauke, suchte die Fernbedienung und schaltete die Sendung auf einem
privaten Fernsehkanal ab, in der sich zwei junge Leute gegenseitig allerlei
Boshaftigkeiten bezichtigten. »Und das Bildungsprogramm haben Sie auch im
Hause.« Mit einem gewissen Widerwillen nahm sie unaufgefordert Platz. Putensenf
ließ sich auf dem zweiten Sessel nieder.
»Das nennt man
Missbrauch von Sozialleistungen«, sagte Frauke ohne Umschweife. »Wollen Sie
wissen, gegen welche Paragrafen Sie verstoßen haben und welche möglichen
Sanktionen das zur Folge hat?«
Die Lektion wirkte.
Schmidtke winkte ab und setzte sich auf das Sofa, nachdem er die Decke ein
Stück zur Seite geschoben hatte.
»Unter
›Doppelverdiener‹ versteht der Volksmund etwas anderes.«
»Ich wollte morgen
zur Arge und mich abmelden. Hab ich verbummelt«, sagte Schmidtke schwach. »Zahl
auch zurück, was ich gekriegt hab. Hatte zu viel zu tun. Ist neu für mich, so
‘n Laden.«
Frauke zeigte auf
die zusammengeknüllte Decke. »Sie wollen nicht behaupten, dass Sie sich
arbeitsmäßig übernommen haben?«
»Nee – doch. Muss
mich erst umgewöhnen. Hab bisher gehartzt. Ist nun ein anderes Leben.«
»Sie sind der
Geschäftsführer?«
»Ja«, versicherte
Schmidtke.
»Und Ihre
Mitarbeiter?«
»Was? Wie? Das mach
ich allein.«
»Dann sind Sie voll
im Stress?«
»Ach, geht so.«
»Läuft das
Geschäft?«
»Ja – gut. Ich bin
jede Nacht ausgebucht.«
»Gratuliere. Wer
macht denn das Marketing für Sie?« Frauke versuchte bewusst, ironisch zu
klingen.
»Was, Marketing?«
»Woher kommen Ihre
Gäste?«
»Von überall her.«
»Und woher haben sie
die Adresse? Geheimtipp in der Szene?«
Schmidtke stach mit
seinem Finger in die Luft. »Genau«, strahlte er plötzlich.
Putensenf stand auf.
»Ich möchte mir gern die Räume ansehen.«
»Ja – aber …«,
stammelte Schmidtke, stand ebenfalls auf und ging voran.
Der dunkle Flur war
mit abgenutztem Linoleum ausgelegt. Von ihm gingen insgesamt fünf sogenannte
Gästezimmer aus, die sich als dunkle Löcher erwiesen, zum Teil mit einem
Ausblick
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