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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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die Bibel, und wollte sie nicht in Schande bringen. Aber nicht, dass ihr glaubt, dass er die Geschichte gleich so hingenommen hat. Heimlich verlassen hat er sie wollen, die Maria, nachdem er sie heimgeholt hat. Das sagt auch die Bibel. Und warum war er dann doch so treu zu ihr, und warum hat er sie beschützt auf dem Weg nach Bethlehem, und warum ist er dann in der Krippe dagestanden und hat sich angeschaut, wie das Kind, das von ihm nicht war, auf die Welt gekommen ist? Warum war er dann ein froher und guter Vater? Weil er gewusst hat, dass sein Sohn von einem Besseren kommt.«
    Ein Raunen ging durch die Gemeinde, mehr ein mürrisches Stöhnen als ein Murmeln der Zustimmung, untermischt von ein paar scharf flüsternd hervorgestoßenen, unverständlichen Ausrufen. Die Regung, die durch manche der Körper ging, schien auch etwas anderes zu sein als ein frommes Nicken: keine Bestätigung von Breisers Worten, sondern ein Schwanken ob ihrer Wirkung. Nur in den vorderen Reihen, wo der Brenner mit den Seinen saß, war zumindestan deren breiten Rücken noch immer keine Reaktion zu bemerken.
    »Er hat sich gefügt, der Josef«, fuhr Breiser fort, ohne der Wirkung seiner Rede allzu lange Zeit zum Abklingen gegeben zu haben. »Ein Engel ist ihm im Traum erschienen, und hat’s ihm gesagt, dass er die Maria zu sich nehmen soll, und dass das, was sie empfangen hat, vom Heiligen Geist ist, und sich in ihm die Prophezeiungen erfüllen würden. Der Josef hat eingesehen: Da ist einer, der weiß besser als ich, was gut ist und was recht. Dessen Plan soll ich nicht anzweifeln, auch wenn er der Menschen Gewohnheit widerspricht. Und selbst wenn er mein Weib braucht, und ihren Schoß, um seinen Plan zur Wahrheit zu machen auf Erden, dann soll ich nicht aufbegehren. Sondern dann soll ich es sehen als Ehre, dass ich Unbedeutender ihn gewähren lassen darf. Und ich der Frucht seines wundersamen Wirkens, so viel herrlicher, als eine Frucht meiner eigenen Lenden es hätte sein können, ihr irdischer Vater sein darf. Und sie schützen und nähren und behüten wie einen eigenen Sohn, bis er zeigt, dass er ein anderer ist. Und das dürft ihr nie vergessen, wie der Josef da über sich hinausgewachsen sein muss, und wie er verstanden hat, dass das, was ihm der Herr da auferlegt, kein Opfer war, sondern ein Himmelsgeschenk.«
    So recht aber schien sich die Gemeinde nicht in die Ergebenheit Josefs einfühlen zu können, noch immer waren offenbar ihre Gefühle aufgewühlt von der Vorstellung an die Situation des Vaters eines fremden Sohns. Nur von den Frauen hatten einige Tränen in den Augen von einer schmerzhaften Rührung. Die Männer aber schauten alle entweder stumpf vor sich hin oder rangen in ihren Köpfen sichtlich mit dem Gehörten und seiner den irdischen Gebräuchen so fremden Lehre.
    Breiser aber, für einige Momente in eine strenge Stille verfallen,musterte sie ausführlich, und es waren nicht wenige, die seinem Blick durch ein Senken des Hauptes auswichen, das weniger wie Demut wirkte, sondern wie das schuldhafte Verbergen eines vor solch höherer Autorität unziemlichen Zorns.
    Allein die Brennerschen hatten das Ende von Breisers Predigt mit einem Nicken quittiert und waren dann gleich wieder in ihre aufrechte Ruhe verfallen.
    Einige Augenblicke war das enge, dunkle, inzwischen trotz der Kälte von Menschen, Kerzen und Weihrauch dampfig gewordene Kirchenschiff erfüllt von dieser seltsamen Spannung. Dann erst brachten die vertrauten, von der lebenslangen Wiederholung mehr zum singenden Klang denn zum Sinn gewordenen Worte des Glaubensbekenntnisses alle in dumpf raunender Eintracht zusammen.
    Doch noch beim Heiligen Abendmahl – das Breiser zunächst dem zum Aufstehen nicht fähigen alten Brenner an seinem Platz in der vordersten Reihe erteilte, auf dass sich erst danach die übrigen Gläubigen erhoben und zum Altar strebten –, noch bei diesem Heiligen Abendmahl schienen bei manchen die Vorstellungen, die ihnen Breisers Predigt in den Kopf gesetzt hatte, so lebendig, dass sie einen Unwirsch gegen den Pfarrer behielten und die Sprache ihrer Leiber erkennen ließ, wie widerwillig sie sich vor ihm auf die Knie herabließen, ihr Haupt senkten, ihren Mund stumm öffneten, damit seine groben Finger den Leib des Herrn auf ihre Zunge schieben konnten.
    Genauso unverkennbar war aber, dass Breiser selbst dies wohl wahrnahm – und dieses starke innere Nachhallen seiner Worte ganz seiner Absicht entsprach. Die Tatsache jedoch, dass trotzdem

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