Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
kein Einziger offen etwas dazu sagte, dass sie alle selbst in ihrem Widerwillen sich nichts anderes trauten, als vor ihm die Knie zu beugen und ihm aus der Hand zu essen –das war es, was dem alten Pfarrer dieses Weihnachten wahrhaftig zu einem Fest der Freude machte.
VII
Es mögen Breisers Worte manchen noch eine Weile beschäftigt haben, als die Gemeinde sich nach der Messe wieder auflöste in eine Ansammlung vieler Familien, und diese zurück durch die noch kälter gewordene Nacht heimwärts zogen. Aber das Leben dort ließ sich schon am nächsten Morgen wieder keinen Schritt weit von seinem stumpf unbeirrbaren Gang abbringen.
Man hatte nicht allzu viel zu tun, jetzt in der tief verschneiten Winterszeit. Für die kurzen Tage zwischen den Jahren ließ man auch das Holzen in den Bergwäldern ruhen, und so wollte lediglich das Vieh in den Ställen versorgt, die täglichen Mahlzeiten zubereitet, das Innere der Häuser in Ordnung gehalten werden. Man verlebte die übrige Zeit in Einsamkeit, die Bewohner jeden Hofs für sich in ihren Stuben versammelt, mit Handarbeiten beschäftigt oder schlicht damit, den das ganze Jahr über von schwerer Arbeit beanspruchten Körpern ihre seltene Rast zu gönnen, ohne dass sich in ihnen dabei ein ungeduldiger Geist geregt hätte, der nach Betätigung verlangte.
Nur bei der Gaderin war immer stärker zu spüren, dass eine freudige Veränderung ins Haus stand. In den Wochen um Weihnachten war immer unverkennbarer geworden, was die Witwe und Greider schon längst ahnten und welchen Verdacht sie durch Luzis Verhalten vor der Mette mehr als bestätigt gefunden hatten: nämlich, dass das Mädchen verliebt war.
Ihren Tätigkeiten im Haus kam sie fröhlich nach, aber immerein wenig abwesend, und kaum deutete die Gaderin an, dass es irgendetwas im Dorf zu besorgen geben könnte, da bot sich ihre Tochter sofort bereitwillig dafür an, fand sofort diesen und jenen Grund, warum man die Besorgung keinesfalls aufschieben könne. Und sobald sie dann den Auftrag, oder besser: die Erlaubnis, bekommen hatte und dazu – denn die Gaderin war ja nicht blind oder herzlos – eine mehr als großzügig bemessene Spanne, um den Gang ins Dorf und die Geschäfte dort zu erledigen, da war ihre Laune noch einmal gesteigert. Und die Fröhlichkeit, die sie an den Tag legte, wenn sie sich sorgfältigst bereit machte zum Ausgehen, wurde nur noch übertroffen von jener rotwangigen, strahlenden Glückseligkeit, mit der sie dann ein paar Stunden später ins Haus zurückkehrte.
Was da vor sich ging, war so offensichtlich, dass die Gaderin ihrem Hausgast an solchen Tagen hinter Luzis Rücken ein halb entschuldigendes, halb verschwörerisch-wissendes Lächeln zuwarf. Und beide nur noch des Tags harrten, an dem ihnen das Mädchen endlich beichten würde, dass es jemanden gab, an den sie ihr Herz gehängt hatte – und wer dieser sei.
Lange mussten sie nicht warten. Offenbar hatte Luzi den Vorsatz gefasst, sich zu erklären, noch ehe das alte Jahr um war. Und so, fünf Tage nach dem Christfest, als sie wieder einmal mit geröteten Backen und kurzem Atem aus dem Dorf heimgekehrt war und nach der Abendmahlzeit alle drei in der gusseisernen Wärme des Ofens um den Tisch saßen, nahm Luzi ihren Mut zusammen und hob an: »I muss euch was sag’n.«
Für einen Moment schien sie unsicher, blickte von der Gaderin zu Greider und wieder zurück, die gespannt auf ihre nächsten Worte warteten. Und schaute dann noch einmal länger dem Gast ins Gesicht – als kämen ihr grade Zweifel, wie klug es war, ihn an dem Geständnis teilhaben zu lassen.Doch dann gab sie sich den endgültigen Ruck und sagte, mit Augen, die ängstlich waren, und einem Mund, der lachen wollte: »I hab’ einen, den i mag.«
Kurz herrschte Stille, während die beiden anderen erwarteten, das Mädchen müsse gleich noch mehr folgen lassen, für Luzi aber schon dieser eine Satz, der so viel Überwindung gekostet hatte, nicht ohne sofortige Reaktion bleiben konnte. Ja, weil sie insgeheim wohl erwartet hatte, dass diese Neuigkeit nur ein solches Entsetzen hervorrufen könne, dass sie ihre Liebe mit großen Worten würde behaupten müssen gegen unverständige Anfechtungen, vermutlich nicht ohne das Vergießen etlicher Tränen auf beiden Seiten. Als also einen Moment einfach nur Schweigen herrschte, breitete sich zunächst Verwirrung auf Luzis Gesicht aus, um dann, zwar ohne wirklichen Anlass, aber mangels einer besseren Wahlmöglichkeit, schnell in die
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