Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
jedes Barthaar hinein beschrieben und seine Liebenswürdigkeit bis in jedes noch so alltägliche Wort nachgewiesen war, das seine unvergleichliche Stimme je geäußert hatte.
Schließlich aber kam man dann doch auch noch auf die praktischeren Gesichtspunkte zu sprechen, die in die Wege zu leiten waren, da diese Liebe nun auch offen in der Welt war. Denn auch Lukas musste dieser Tage seinen Eltern von ihr berichtet haben – das hatten die beiden bei ihrem heimlichen Treffen vor der Christmette vereinbart. Solche verborgenen Zusammenkünfte aber waren jetzt freilich keine statthafte Möglichkeit des Wiedersehens mehr. Also wurde zuerst beschlossen, Lukas und seine Eltern möglichst bald ins Haus der Gaderin einzuladen – oder zumindest seinen Vater, denn die Mutter war blind und kränklich und kaum in der Lage, den eigenen Hof zu verlassen. Greider erbot sich sogleich als Bote für diese Einladung, und als Termin für selbige wurde schnell der zweite Tag des neuen Jahrs erkoren. Dies Datum ließ Lukas’ Familie Gelegenheit, den Jahreswechsel in Ruhe unter sich zu verbringen – hatte aber die Vorzüge, dass der zweite Jänner noch immer ein wenig am symbolischen Gehalt des Jahresbeginns teilhatte, was zu diesem sozusagen offiziellen Beginn der jungen Liebe zwischen Lukas und Luzi nur zu gut passte, und dass er gerade noch nahe genug lag, um Luzis Ungeduld in halbwegs erduldbaren Maßen zu halten.
Wobei es nicht an Dingen mangelte, sie bis dahin von dieser Ungeduld abzulenken. Denn natürlich musste, kaum war der Plan der Einladung gefasst und in seinen Einzelheiten festgelegt, das ganze Haus von Grund auf in einen präsentablen Zustand gebracht werden. Kein Eck, das nicht gefegt, kein Deckchen, das nicht geflickt und gesäubert gehörte. Und was immer die Gaderin oder der hilfsbereite Greider anpackten, was und wie sie auch scheuerten und schrubbten, putzten und polierten, nichts davon genügte Luzis streng prüfendem Blick, der stets noch die letzte spektrale Erscheinung eines einstigen Flecks entdeckte – sodass sie im Schweiße ihres glückstrahlenden Angesichts nachbessern musste.Und dauernd gingen sie im Weg um, die Gaderin und ihr Wintergast, denn wo sie auch saßen oder standen, bestimmt war es grade dort, wo eben gesäubert war und nicht schon wieder schmutzig werden durfte, oder da, wo eben gesäubert werden sollte.
VIII
Greider war merklich froh, wann immer er dieser Putzwut für ein paar Stunden entfliehen konnte. Es mochte noch so weißgrau und eisig draußen sein, mit einem schneidenden Wind, der angriff, was immer sich ihm an unverhüllter Haut bot – viel ungastlicher als in dem Haus, wo man ständig von Besen und Staubtuch vertrieben wurde, schien es ihm nicht. Gerne hatte er die Rolle des Boten übernommen, um Lukas’ Vater die Einladung zu überbringen. Und war auf die Idee verfallen, sie in gewählten Worten, mit frischer Feder, bester Tinte und seiner schönsten Schrift auf einen aus seinem Gepäck hervorgeholten Papierbogen zu schreiben. Die Gaderin hatte ihm das zunächst ausreden wollen, weil man es hier heroben doch nicht so hatte mit dem Lesen und Schreiben. Aber Luzi war so begeistert von der hochoffiziell wirkenden Bedeutsamkeit, die sie dadurch ihrer Liebe verliehen sah, dass ihre Mutter den Gast gewähren ließ. Und dessen Vermutung erwies sich als goldrichtig: Auf den Bauern – einen Mann, dessen plusterndes Mühen um Autorität im Gegensatz stand zu seiner Schmächtigkeit – verfehlte der Brief seine Wirkung nicht. Zwar trug ihm Greider den Inhalt zur Sicherheit auch mündlich vor, während der Mann mit gravitätischer Miene so tat, als verstünde er, die Zeichen auf dem Papier zu entziffern. Aber dass man ihn wie einen hohen Herrn eines solchen Schriftstücks für würdig befunden hatte, das überrumpelteihn und schmeichelte ihm so sehr, dass er nicht lange mit einer Antwort auf sich warten ließ. Seine Zusage freilich hatte Luzi in ihrem Vorbereitungsfieber nur noch befeuert, sodass der Jahreswechsel im Gaderschen Haushalt zum unbedeutenden Nebenereignis degradiert wurde. Und Greider am Neujahrstag verkündete, dass er ein wenig ausreiten würde, ohne einen Grund dafür vorzuschützen – wohl wissend, dass Luzi ohnehin den Kopf zu voll mit anderem hatte, und die Gaderin seine kleinen Fluchten nur zu gut verstand: Sie – die ihre Tochter nicht im Stich lassen konnte – freute sich, dass wenigstens einem im Haus diese Atempause vergönnt war.
Schon von Weitem merkte
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